Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
drehte sich um. Ein einziger Mann stand in dem Raum voller Frauen. Er hatte ihnen den Rücken zugewandt, sodass sie nur eine glatte Mähne pechschwarzen Haares und einen langen Frack sah. Er unterhielt sich mit einer blonden Frau in einem rosenroten Ballkleid. Ihre langen diamantenen Ohrringe glitzerten, als sie den Kopf drehte – und Luce in die Augen sah.
Gabbe.
Der schöne Engel blinzelte einige Male, als versuche er zu entscheiden, ob Luce eine Erscheinung war. Dann neigte Gabbe kaum merklich den Kopf zu dem Mann neben ihr, so als versuche sie, ihm ein Zeichen zu geben. Noch ehe er sich ganz herumgedreht hatte, erkannte Luce das klare, scharfe Profil.
Cam.
Luce schnappte nach Luft und ließ alle Tanzkarten fallen. Sie bückte sich und begann unbeholfen, sie vom Boden aufzulesen. Dann drückte sie sie Henrietta in die Hand und schlüpfte aus dem Raum.
»Myrtle!«, sagte Henrietta.
»Ich bin gleich wieder da«, flüsterte Luce und rannte die lange geschwungene Treppe hinauf, bevor Henrietta auch nur antworten konnte.
Miss McGovern würde Luce hinauswerfen, sobald sie erfuhr, dass Luce ihren Posten im Ballsaal – und die teuren Tanzkarten – verlassen hatte. Aber das war das Geringste von Luce’ Problemen. Sie war nicht darauf vorbereitet, sich Gabbe zu stellen, nicht wenn sie sich darauf konzentrieren musste, Lucinda zu finden.
Und sie wollte auf keinen Fall in Cams Nähe sein. Weder in ihrem eigenen Leben noch in einem anderen. Luce zuckte zusammen und dachte daran, wie er diesen Pfeil direkt auf sie oder das, was er dafür gehalten hatte, gezielt hatte. Das war in der Nacht gewesen, in der der Outcast versucht hatte, ihr Abbild in den Himmel zu tragen.
Wenn doch nur Daniel hier wäre …
Aber das war er nicht. Luce konnte nur hoffen, dass er auf sie warten und nicht allzu wütend sein würde, wenn sie herausgefunden hatte, wonach sie suchte, und in die Gegenwart heimkehrte.
Oben huschte Luce gleich in den ersten Raum neben der Treppe. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen, um zu Atem zu kommen.
Sie war allein in einem riesigen Salon. Es war ein prächtiger Raum, in dem ein vornehmes kleines Sofa mit elfenbeinfarbenen Polstern und zwei Ledersessel neben einem glänzenden Cembalo standen . Dunkelrote Vorhänge umgaben die drei großen Fenster an der westlichen Wand. Im Kamin knisterte ein Feuer.
Neben Luce befand sich eine Wand voller Bücherregale, Reihe um Reihe dicke Bände mit Ledereinband, die vom Boden bis zur Decke reichten, so hoch, dass es sogar eine dieser Leitern gab, die man an den Regalen entlangrollen konnte.
In der Ecke stand eine Staffelei, die Luce irgendwie anzog. Sie hatte noch nie einen Fuß in die oberen Etagen des Hauses der Constances gesetzt, und doch: Ein einziger Schritt auf den dicken Perserteppich rief einen Teil ihres Gedächtnisses wach und sagte ihr, dass sie dies alles vielleicht schon einmal gesehen hatte.
Daniel. Luce erinnerte sich an das Gespräch, das er mit Margaret im Garten geführt hatte. Sie hatten über sein Gemälde gesprochen. Er verdiente sich sein Geld als Maler. Die Staffelei in der Ecke – das musste sein Arbeitsplatz sein.
Sie ging darauf zu. Sie musste sehen, was er gemalt hatte.
Kurz bevor sie die Staffelei erreichte, ließen sie drei hohe Stimmen zusammenzucken.
Luce erstarrte und sah, wie der Türknauf sich drehte. Sie hatte keine andere Wahl, als hinter den dicken roten Samtvorhang zu schlüpfen und sich dort zu verstecken.
Sie hörte das Rascheln von Taft, das Zuschlagen einer Tür und ein Luftschnappen, gefolgt von lautem Gekicher. Luce legte sich eine Hand auf den Mund und beugte sich leicht zur Seite, gerade weit genug, um hinter dem Vorhang hervorzuspähen.
Die Helstoner Lucinda stand drei Meter von ihr entfernt. Sie trug ein wunderschönes weißes Kleid mit einem Seidenmieder und Rückenschnürung. Das Haar war in glänzenden, kunstvoll arrangierten Locken auf dem Kopf hochgesteckt. Eine Diamantkette funkelte auf ihrer blassen Haut und verlieh ihr etwas derart Königliches, dass es Luce beinahe den Atem verschlug.
Ihr früheres Ich war das eleganteste Geschöpf, das Luce je gesehen hatte.
»Du strahlst ja heute Abend so, Lucinda«, bemerkte eine leise Stimme.
»Hat Thomas dich wieder besucht?«, neckte eine andere Stimme.
Die beiden Mädchen – Luce erkannte eines als Margaret, die älteste Tochter der Constances, die mit Daniel im Garten spazieren gegangen war. Die andere, eine frischere Ausgabe von
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