Engelsfluch
die lebenslängliche Haft. Ein gewisses Entgegenkommen könnte meinen Vater veranlassen, ebenfalls entgegenkommend zu sein.«
»Sie denken an eine Begnadigung?« Lavagnino verzog das Gesicht zu einer unwilligen Grimasse. »Er hat schwere Schuld auf sich geladen. Außerdem kann nur Seine Heiligkeit über eine Begnadigung entscheiden.«
»Falls mein Vater zur Kooperation bereit ist, können wir Papst Custos ja fragen. Was seine Schuld angeht, da haben Sie fraglos Recht, Eminenz. Aber muss man hier nicht abwägen, was schwerer wiegt, die Sühne einer Schuld oder das Schicksal der Kirche?«
Lavagnino tauschte einen kurzen Blick mit Ferrio und sagte:
»Ich stimme Ihnen völlig zu, Signor Rosin. Also gut, sprechen Sie mit Ihrem Vater! Alles Weitere sehen wir dann.«
Fünfzehn Minuten später ging Alexander ungeduldig im Vorraum des Gefängnisses auf und ab und fragte sich, warum es diesmal so lange dauerte, bis man ihn zu seinem Vater vorließ.
Als schließlich eine Tür aufging, trat nicht ein einfacher Gendarm der Vigilanza ein, sondern ein Mann mit spitzem Vogelgesicht, den Alexander gut kannte. Aldo Tessari war vor ein paar Monaten noch Vizeinspektor und damit stellvertretender Leiter der Vigilanza gewesen. Nachdem sich sein Vorgesetzter Riccardo Parada als Mitglied der Verschwörung gegen Custos entpuppt hatte und festgenommen worden war, hatte der Papst kurzerhand Tessari zum Generalinspektor befördert. Dass Tessari ihn empfing, noch dazu mit einer zutiefst bekümmerten Miene, hielt Alexander für kein gutes Zeichen. Von einer Sekunde zur anderen war er von Unruhe und Angst erfüllt. Tessari streckte zögernd die Hand aus, und Alexander ergriff sie. »Guten Tag, Signor Rosin. Sie können nicht zu Ihrem Vater, leider.«
»Was ist denn? Geht es meinem Vater nicht gut?«
Tessari schluckte schwer, als müsse er sich überwinden, um mit Alexander zu sprechen. »Als gerade einer der Wächter in die Zelle ging, um Ihren Vater zu holen, hat man ihn gefunden …«
»›Gefunden‹? Was heißt das, Signor Tessari? Sagen Sie mir doch endlich, was los ist!«
Tessari nickte heftig und wirkte jetzt wahrhaftig wie ein Vogel, der eifrig nach Körnern pickt. »Ihr Vater hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Es tut mir sehr Leid, aber er ist tot.«
Alexander wunderte sich, wie ruhig er angesichts dieser Mitteilung blieb. Sein Verstand arbeitete normal weiter, und ein zynischer Gedanke tauchte auf, den er laut aussprach: »Der Vatikan scheint meiner Familie kein Glück zu bringen, wie?«
»Was meinen Sie damit?«
»Erst wurden mein Onkel und meine Tante hier ermordet und jetzt auch noch mein Vater.«
»In seinem Fall handelt es sich um Selbstmord.«
»Sind Sie da sicher, Signor Tessari?«
»Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln.«
»Aber ich«, sagte Alexander und berichtete von dem gestrigen Vorfall und von den Striemen auf den Rücken der drei Festgenommenen. »Ich Idiot habe Schardt gegenüber auch noch erwähnt, dass man mich vor einer Falle gewarnt hat.
Wahrscheinlich konnte er sich an fünf Fingern abzählen, von wem die Warnung stammte.«
»Aber dieser Schardt befindet sich im Gewahrsam der römischen Polizei, und Ihr Vater war hier eingesperrt. Schardt konnte unmöglich seine Ermordung veranlassen.«
»So naiv können Sie doch nicht sein, Tessari! Wenn wir es wirklich mit Totus Tuus zu tun haben, ist niemand hier im Vatikan seines Lebens sicher, weder Sie noch der Papst. Der Orden hat schon einmal versucht, den Heiligen Vater zu töten.«
»Da haben Sie Recht. Ich werde sofort die Sicherheitsmaßnahmen verschärfen.«
»Das ist eine gute Idee. Darf ich zu meinem Vater?«
»Aber wozu? Er ist tot.«
»Ich möchte ihn trotzdem sehen, bitte, und sei es nur, damit ich es wirklich glauben kann. Vergessen Sie nicht, dass ich meinen Vater schon einmal für tot gehalten habe. Dabei war sein Ableben nur vorgetäuscht gewesen, damit er sich in aller Ruhe seinem Wirken als Ordensgeneral widmen konnte.«
»Meinetwegen, kommen Sie mit! Aber ich warne Sie, es ist kein schöner Anblick.«
Tessari führte Alexander zur Zelle seines Vaters. Es war ein kleiner Raum, nur mit dem Notwendigsten ausgestattet. Auf einem Regal standen ein paar Bücher in Blindenschrift, die zu erlernen Markus Rosin offenbar bemüht gewesen war, auf dem Tisch darunter ein Kofferradio. Sonst fand Alexander keinen Hinweis darauf, wie sein Vater die Zeit verbracht hatte.
Vermutlich gab es nicht viele Dinge, mit denen sich ein blinder
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