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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Gefangener beschäftigen konnte. Zur Einrichtung gehörten ein kleiner Tisch und ein Plastikstuhl. Markus Rosin saß auf dem Stuhl. Der Oberkörper war auf die Tischplatte gesunken, auf der auch die ausgestreckten Arme lagen. Die Ärmel des Pullovers waren nach oben geschoben, und die Unterarme schienen eine einzige blutende Wunde zu sein. Noch immer quoll das Blut hervor, rann über die rot verschmierte Tischplatte und bildete auf dem Boden darunter eine stetig größer werdende Pfütze.
    Markus Rosin trug auch noch seine Sonnenbrille, als sei es wichtiger, den Anblick seiner fehlenden Augen zu ersparen als den seiner aufgeschnittenen Arme.
    »Warum hat niemand die Wunden verbunden?«, fragte Alexander.
    Tessari sah ihn entgeistert an. »Wozu? Er ist tot, glauben Sie mir! Der Arzt ist bereits unterwegs, aber er wird nur noch den Totenschein ausstellen können.«
    »Ja, entschuldigen Sie!«, sagte Alexander leise und bemühte sich, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. »Wer hat die Leiche gefunden?«

    Tessari zeigte auf einen der herumstehenden Männer.
    »Signor Bastone hier war es.«
    Alexander wandte sich an ihn. »Signor Bastone, trug mein Vater immer die Sonnenbrille, wenn er in der Zelle war? Für ihn selbst war es doch gleichgültig, ob er sie aufsetzte oder nicht. Er musste den Anblick seiner fehlenden Augen nicht vor sich verstecken.«
    Bastone, ein mittelgroßer Endvierziger mit Ansätzen zur Korpulenz, überlegte kurz und sagte dann: »Ich glaube, er setzte die Brille nur auf, wenn er herausgerufen wurde. Doch, doch, genauso war es. Wenn man in seine Zelle kam, setzte er die Brille auf. Hier drin scheint er sie sonst nicht getragen zu haben.«
    »Und doch hat er sie jetzt auf«, sagte Alexander und blickte seinen toten Vater an.
    »Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Tessari.
    »Es sieht so aus, als sei mein Vater nicht allein gewesen, als er starb. Oder glauben Sie, er war so rücksichtsvoll, an diejenigen zu denken, die seine Leiche finden?«
    »Manchmal geschehen die verrücktesten Dinge«, gab der Generalinspektor der Vigilanza zu bedenken.
    »Die verrücktesten Dinge sind aber niemals die wahrscheinlichsten«, entgegnete Alexander.
    Tessari maß ihn mit einem taxierenden Blick. »Sie wollen unbedingt auf einen Mord hinaus, Signor Rosin. Warum? Die Lage Ihres Vaters war verzweifelt, er hatte vom Leben nichts mehr zu erwarten. Das ist doch wohl Motiv genug für einen Selbstmord, oder?«
    »Ein Motiv macht noch keinen Selbstmord.«
    »Und eine Sonnenbrille keinen Mord«, beharrte Tessari.

    »Womit soll sich mein Vater seine Pulsadern aufgeschnitten haben?«
    Tessari zeigte auf ein Messer, das halb verdeckt von Markus Rosins rechtem Arm auf dem Tisch lag. »Diese Messer geben wir in der Kantine aus und sammeln sie auch sorgfältig wieder ein. Trotzdem muss es Ihrem Vater gelungen sein, eins mitgehen zu lassen. Die Messer sind sehr stumpf, deshalb hatte Ihr Vater wohl reichlich Mühe, sein Werk zu vollenden.«
    »Meinen Sie nicht, er hätte eine leichtere Methode gewählt, sich umzubringen?«
    »Wieso? Sie sagen doch selbst, dass die Mitglieder von Totus Tuus sich aus religiöser Überzeugung Schmerzen zufügen.«
    »Zur ihrer religiösen Überzeugung gehört aber auch, dass Selbstmord eine Sünde ist.«
    »Mein Gott, Rosin, können Sie nicht akzeptieren, dass Ihr Vater freiwillig aus dem Leben geschieden ist? Geben Sie sich vielleicht selbst die Schuld daran, weil er durch Ihre Mithilfe überführt und eingesperrt wurde?«
    »Das ist es nicht«, widersprach Alexander, obwohl er sich insgeheim fragte, ob Tessari damit Recht hatte. »Ich glaube vielmehr, Sie wollen aus ganz bestimmten Gründen von einem Mord nichts wissen, Signor Tessari. Denn das würde bedeuten dass Ihre Vigilanza von Totus Tuus verseucht ist. Ohne Mitwirkung Ihrer Männer kann mein Vater nicht umgebracht worden sein. Wollen Sie sich dieser Tatsache nicht stellen? Oder wollen Sie sie gar verbergen?«
    Tessari versteifte sich. »Ich habe es nicht nötig, mir von Ihnen haltlose Beschuldigungen anzuhören. Bitte verlassen Sie jetzt das Gefängnis, Signor Rosin!«
    »Ich werde auf einer Autopsie der Leiche bestehen«, sagte Alexander, als er aus der Zelle trat.

    »Sie können auf gar nichts bestehen. Hier ist nicht die italienische Justiz zuständig, sondern allein der Vatikan.«
    Alexander verließ das Gefängnis und war froh, als er an die frische Luft trat. Ein Gefühl des Unwohlseins stieg in ihm hoch, und seine Knie wurden

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