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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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wacklig. Er setzte sich auf eine halbhohe Mauer, schloss die Augen und atmete tief durch. Erst hier draußen wurde ihm richtig bewusst, dass er seinen Vater ein weiteres Mal verloren hatte – und diesmal endgültig. Nie würde Markus Rosin seine Taten bereuen und sich mit Alexander aussöhnen können. Oder hatte er bereits alles bereut und, erdrückt von der Schwere seiner Untaten, seinem Leben ein Ende gesetzt? Nein, sagte Alexander sich, nicht so schnell und so umfassend. Sein Vater war von dem, was er für Totus Tuus getan hatte, zutiefst überzeugt gewesen. Eine solche Überzeugung legte man nicht einfach ab wie ein schmutziges Hemd. Alexander glaubte nicht an einen Selbstmord. In einem Punkt allerdings lag Tessari ganz richtig: Alexander machte sich Selbstvorwürfe. Möglicherweise hatte er durch seine Bemerkung gegenüber Werner Schardt seinem Vater die Mörder auf den Hals gehetzt. Er fühlte sich elend und allein und wünschte sich, Elena wäre jetzt bei ihm gewesen.

Neapel
    Als das Telefon melodiös zu läuten begann, stand Papst Custos an einem der kleinen Fenster und blickte hinaus aufs Meer.
    Das Franziskanerkloster, in dem er untergekommen war, stand auf dem Vomero, jenem Hügel in Neapel, den die Touristen am liebsten per Seilbahn besuchten. Hier gab es Sehenswürdigkeiten wie die Villa La Floridiana mit ihrem Keramikmuseum und einem großen Park oder das säkularisierte Kartäuserkloster San Marino mit vielen sehenswerten Gebäuden und einem Museum zur neapolitanischen Kunst und Geschichte.

    Im Augenblick aber interessierte die Schaulustigen und vor allem die Journalisten, Fotografen und Kameraleute, die auf den Vomero kamen, nur das unscheinbare kleine Kloster San Francesco mit seinem hoch stehenden Gast. Draußen auf der Straße belagerten sie das Kloster in so großer Zahl, dass die Polizei den Verkehr umleiten musste. Die Unterkunft des Papstes lag im rückwärtigen Teil, und so blieb er von dem Trubel verschont. Fast wünschte er es sich anders, dann hätte er sich von den quälenden Überlegungen ablenken können. So aber kreisten seine Gedanken ununterbrochen um die Gegenkirche und um das seltsame Spiel, das der Gegenpapst und seine Anhänger mit ihm trieben. Bislang hatte Custos die Abtrünnigen für überzeugte Christen gehalten, nicht aber für Scharlatane. Die Weissagung des Gegenpapstes jedoch, dass Custos’
    Anwesenheit in Neapel zu einem Unglück führen würde, ließ alles in einem neuen Licht erscheinen. War Tomás Salvati, der sich Papst Lucius IV. nannte, ein gewissenloser Machtpolitiker, der die Gutgläubigkeit seiner Anhänger schamlos ausnutzte?
    Wenn ja, dann war Custos’ Reise nach Neapel zum Scheitern verurteilt gewesen, bevor er sie überhaupt angetreten hatte. Mit einem Betrüger würde er sich nicht einigen können, denn dem wäre am Wohl der Kirche nicht gelegen.
    Natürlich gab es noch eine andere Erklärung, eine, die Custos persönlich noch weniger behagte: Salvati hatte tatsächlich eine Vision gehabt. Das würde bedeuten, dass finstere Mächte am Werk waren, Mächte, denen Custos möglicherweise hilflos gegenüberstand. Das Unwetter gestern war schlimm gewesen, aber er hielt es nur für ein Unwetter. Dass es genau zu der Zeit eingesetzt hatte, als sein Hubschrauber auf dem Flughafen landete, war ein Zufall gewesen, den Salvati und seine Anhänger wohl ebenso klug wie unverfroren ausnutzten.
    Der Sturm hatte sich gelegt, und es regnete auch nicht mehr, aber der Golf von Neapel, auf den Custos blickte, lag noch immer unter einer dichten Wolkendecke. Der Seegang war rau, aber die Reedereien hatten ihre gestern unterbrochenen Dienste wieder aufgenommen. Ein großes Containerschiff schob sich gerade gemächlich aus dem Hafen und wurde von einer Fähre, einem schnellen Tragflügelboot, überholt, die unterwegs nach Procida, Capri oder Ischia war. Die Menschen vergaßen das Unheil schnell, wenn es um das Geschäft ging, und vielleicht war das der entscheidende Grund, warum die Menschheit auf diesem Planeten überlebt hatte.
    »Soll ich rangehen, Heiligkeit?«
    Henri Luus Stimme riss Custos aus seinen Gedanken. Er drehte sich um und nickte. Er hatte ganz vergessen, dass sein Privatsekretär anwesend war. Luu hatte auf einem unbequemen Stuhl gesessen und die regionalen wie auch die wichtigen überregionalen Tageszeitungen nach Beiträgen über die Ankunft des Papstes in Neapel durchgesehen. Dabei war Luu mit jener Akribie vorgegangen, die Custos so an ihm schätzte. Luu

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