Engelsfluch
richtigen Weg. Der andere war verblendet, stand im Bann des Verfluchten, des Engelsfürsten.«
»Wer ist das, der Engelsfürst?«, fragte Enrico.
»Der, dem die gefallenen Engel gehorchen. Der, auf dem der Engelsfluch lastet.«
»Sprechen Sie von Luzifer, von Satan?«
»Ich kenne seinen Namen nicht«, sagte Angelo. »Und auch Fabrizio hat den Namen nicht gewusst. Aber in seiner Vision war der Engelsfürst unter die Menschen gekommen, und sein Fluch bedrohte die Welt. Nur eine vereinte Kirche konnte der Bedrohung widerstehen.«
Der Einsiedler schwieg zwanzig oder dreißig Sekunden, versunken in das so viele Jahrzehnte zurückliegende Erlebnis, und fügte dann leise hinzu: »Das war die Botschaft an meinen Bruder.«
»Eine vereinte Kirche«, murmelte Alexander. »Dann ist die Quintessenz dieser Vision, dass die Kirche ihre Spaltung überwinden muss.«
»So hört es sich an«, pflichtete Vanessa ihm bei. »Zwei Päpste sind einer zu viel. Angelo, hat Ihr Bruder Ihnen gesagt, welcher Papst der richtige und welcher der falsche ist?«
Der Einsiedler schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob die Menschen das erkennen können. Vielleicht wissen das nicht einmal der Heilige Vater und sein Gegenpart.«
»Vermutlich nicht, wenn jeder von ihnen sich für den rechtmäßigen Papst hält«, meinte Elena.
Sie diskutierten noch eine Weile über die Visionen der beiden Brüder, ohne dass neue Gesichtspunkte oder gar neue Erkenntnisse aufgetaucht wären. Schließlich wandte Enrico sich mit einer ganz anderen Frage, die ihm auf den Nägeln brannte, an Angelo: »Können Sie mir Näheres über meinen Vater sagen?«
Der Einsiedler zögerte mit seiner Antwort. »Ich weiß nicht, wer er ist.«
»Die Art, in der Sie das sagen, lässt aber erkennen, dass Sie eine Vermutung hegen«, bohrte Enrico nach.
»Etwas vermuten und etwas wissen sind zwei verschiedene Dinge.«
Enrico sah Angelo flehend an. »Wie soll ich die Wahrheit herausfinden, wenn ich nicht einmal einen Hinweis habe?«
Angelo heftete seinen Blick mit einer solchen Intensität auf ihn, dass Enrico die Anwesenheit der drei anderen in dem unterirdischen Raum fast vergaß. »Die Macht der Engel ist stark bei dir, so stark wie sonst nur noch bei mir. Ich habe es sofort gespürt, als ich dich sah. Und durch unsere vereinten Kräfte konnten wir Elena retten.«
Enrico sah ihn ungläubig an. »Sie wollen damit doch nicht andeuten, dass Sie mein Vater sein könnten?«
Zum ersten Mal sah er ein breites Lächeln auf Angelos Gesicht.
»Ich bin nicht dein Vater, gewiss nicht. Aber vor vielen Jahren gab es einen anderen Engelssohn in Borgo San Pietro, bei dem die Macht sehr ausgeprägt war. Er war noch jung an Jahren, und es gab eine Zeit, da warfen er und deine Mutter sich verliebte Blicke zu. Im Dorf fing man schon an zu reden, aber niemand sprach laut darüber.«
»Warum nicht? War dieser andere Mann schon verheiratet?«
»Ja, mit Gott.«
»Ein Priester?«, fragte Enrico ungläubig. Angelo blieb stumm, aber ein kurzes Nicken beantwortete die Frage.
»Jetzt wird mir so einiges klar«, sagte Enrico. »Das war in der Tat eine Schande für ein katholisches Dorf wie Borgo San Pietro, die es in den Augen der Menschen rechtfertigte, vielleicht sogar als notwendig erscheinen ließ, meine Mutter weit fort zu schicken. Jetzt verstehe ich auch, warum meine Mutter mir nie gesagt hat, wer mein Vater ist. Sie wollte ihn schützen. Angelo, wo ist er jetzt?«
»Er hat das Dorf schon vor vielen Jahren verlassen. Es heißt, der Vatikan habe ihm das nahe gelegt, wenn er sein Priesteramt nicht verlieren wollte.«
»Wegen meiner Mutter – und meinetwegen? Aber wir waren doch weit weg.«
»Nein, darum ging es nicht. Der Engelssohn hatte von seiner Macht Gebrauch gemacht, um schwer kranken Menschen zu helfen. Und die Leute hier in den Bergen fingen an, ihn zu verehren, mehr, als es einem einfachen Priester zusteht.
Deshalb, so heißt es, sandte man ihn weit fort in den Süden des Landes, und Pfarrer Umiliani übernahm seinen Posten.«
Enrico dachte an den Schuhkarton seiner Großtante, der neben Berichten über die Wunderkräfte von Papst Custos auch Zeitungsausschnitte über den Gegenpapst enthalten hatte.
»Tomás Salvati, der Papst der Gegenkirche, stammt aus Borgo San Pietro und ist hier einmal Priester gewesen. Ist er der Mann, von dem Sie sprechen, Angelo?«
»Ja, er ist der Engelssohn, von dem ich gesprochen habe.«
Das war eine Eröffnung, die alle vier für einige Zeit zum
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