Engelsfluch
Schweigen brachte. Jeder dachte wohl über die Konsequenzen nach, die sich daraus ergaben.
»Tomás Salvati verfügt über ähnliche Kräfte wie Papst Custos, das ist ein Ding«, sagte Elena schließlich. »Angelo, stammen die Engelssöhne, wie Sie sie nennen, von Jesus ab?«
»Darüber weiß ich nichts. Ich habe nie etwas davon gehört.
Nur davon, dass unsere Fähigkeiten uns von den Engeln, unseren Vätern, vermacht wurden.«
»Was heißt das, von Ihren Vätern?«, fragte Elena. Enrico, dem sein Zwiegespräch mit Papst Custos in den Sinn kam, antwortete an Angelos Stelle und berichtete von der Legende von den gefallenen Engeln, die sich mit den Menschenfrauen verbunden hatten.
»Ist es das?«, wollte Elena wissen. »Glauben die Menschen in Borgo San Pietro, dass sie von gefallenen Engeln abstammen?«
»Ich weiß nicht, ob es die gefallenen Engel sind«, antwortete Angelo. »Aber es heißt, dass einst die Engel aus dem Himmel herabstiegen und nach Borgo San Pietro, wo die schönsten Töchter des ganzen Landes lebten, kamen, um sich mit ihnen zu verbinden. Als Dank für die freundliche Aufnahme gaben die Engel den Menschen hier die Gabe der heilenden Kraft.«
»Und offenbar zugleich die Gabe, in die Zukunft zu sehen«, fügte Vanessa hinzu.
Elena blickte zweifelnd in die Runde. »Ich würde sagen, das alles klingt reichlich unglaublich, wie ein aus dem Aberglauben geborenes Ammenmärchen, hätte ich die heilende Kraft nicht am eigenen Leib erlebt.«
»Wenn etwas daran ist, so handelt es sich wohl um eine Mischung aus Wahrheit und Legendenbildung«, meinte Vanessa. »Was immer den Menschen hier vor langer Zeit widerfahren ist, einige von ihnen verfügen unbestreitbar über besondere Kräfte. Wir können heute kaum noch sagen, woher diese Kräfte stammen. Vielleicht waren die Etrusker wirklich ein besonderes Volk, und ein Teil ihres Wissens, ihrer Macht, lebt in ihren Nachfahren weiter, in den Menschen von Borgo San Pietro. Aber Menschen neigen dazu, nach Erklärungen zu suchen, und so könnte die Legende von den Gaben der Engel entstanden sein.«
»Eine Legende, die vermutlich sehr alt ist und schon zu Zeiten der Etrusker bestand«, ergänzte Enrico und erinnerte an die vielen Engelsdarstellungen der Etrusker.
Alexander war aufgestanden und ging unruhig in dem Raum auf und ab. Jetzt blieb er stehen und sagte: »Ich muss ständig an den Gegenpapst denken. Wenn er über so besondere Kräfte verfügt, warum hat man dann nirgendwo etwas darüber gelesen?
Das müsste für die Presse doch ein gefundenes Fressen sein!«
»Offenbar sind seine Wundertaten nicht gerade in die Öffentlichkeit hinausposaunt worden«, erwiderte Elena. »Auch im Archiv des ›Messaggero‹ stand nichts darüber.«
»Der Vatikan wollte nicht, dass es bekannt wird«, sagte Angelo. »Aber dort wusste man davon.«
»Klar«, meinte Vanessa. »Sonst hätte man ihn kaum hier abberufen. Aber hätte Papst Custos dann nicht davon wissen müssen?«
»Nicht zwangsläufig«, meinte Elena. »Er ist erst seit ein paar Monaten im Amt. Merkwürdig ist allerdings, dass ihm nach Salvatis Aufstieg zum Gegenpapst kein vollständiges Dossier über diesen Engelssohn vorgelegt wurde. Vielleicht sind Mächte am Werk, die das verhindert haben. Das könnte mit den Priestermorden zusammenhängen. Wissen Sie etwas darüber, Angelo?«
»Viele Jahre nach Salvatis Abberufung kamen zwei Geistliche aus dem Vatikan nach Borgo San Pietro und stellten Fragen über die Heilungen«, sagte Angelo. »Sie sagten, es sei für ihre Akten.«
»Wann?«, fragte Elena.
»Vor ungefähr fünf oder sechs Jahren, wenn ich mich recht erinnere. Kurz danach wurde Tomás Salvati zum Kardinal ernannt.«
»Das übliche Vorgehen«, sagte Elena. »Der Vatikan wollte sich vergewissern, dass Salvati nicht noch mehr Leichen im Keller hat.«
»Leichen?«, fragte der Einsiedler.
»Geheimnisse, die einem hohen Würdenträger der Kirche nicht gut zu Gesicht stehen«, erklärte Elena. »Erinnern Sie sich noch, wer diese beiden Männer aus dem Vatikan waren, wie sie hießen?«
»Ich hatte die Namen vergessen. Aber dann hörte ich sie erst vor kurzem aus dem Mund von Ezzo Pisano, als er mir von den Priestermorden in Rom und Ariccia erzählte.«
»Sie meinen die Morde an den Pfarrern Dottesio und Carlini?«, vergewisserte Elena sich.
»Genau. So hießen die beiden Geistlichen aus dem Vatikan, die nach Borgo San Pietro kamen, um Fragen zu stellen. Sie haben nicht viele Antworten erhalten. Die
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