Engelsfluch
flach auf den Boden fallen und riss Vanessa mit sich. Auch Alexander und Elena drückten sich platt auf den Boden.
Zu dem Rattern des MGs gesellte sich der Lärm weiterer Waffen: Schüsse und Explosionen. Es hörte sich gewaltiger an als das schlimmste Unwetter. Der Hauptteil galt vermutlich Custos und seinen Begleitern. Enrico fühlte sich elend, als er daran dachte, dass sie nur um wenige Minuten zu spät gekommen waren. Um Haaresbreite wäre es ihnen gelungen, den Papst zu warnen. Jetzt aber mussten sie hilflos mit ansehen, wie die Mitglieder der Prozession zu Boden gingen ob verwundet oder auf der Suche nach Deckung, ließ sich nicht erkennen.
Enrico strengte seine Augen an, um die Gestalt des Papstes zu suchen. Aber er konnte Custos nicht sehen. Der Papst musste irgendwo in dem hohen Gras liegen, vielleicht verletzt oder tot.
Eine trockene Explosion übertönte den Lärm der Schüsse und Schreie, und eine graue Rauchwolke hüllte das, was von der Prozession noch zu sehen war, ein.
»Was ist das?«, fragte Enrico.
»Eine Rauchgranate«, antwortete Alexander. »Sie haben die Prozession eingenebelt. Aber wozu? Es erschwert ihnen doch die Sicht beim Zielen.«
Eine weitere trockene Explosion war zu hören, ganz in ihrer Nähe, gefolgt von einem lauten Zischen. Ein ungewöhnlicher, scharfer Geruch drang in Enricos Nase, und seine Sinne begannen sich zu verwirren. Eine Stimme – gehörte sie Alexander? rief warnend: »Gas!«
Vergebens versuchte Enrico sich zu erinnern, was dieses Wort bedeutete. Er war viel zu müde, und das Nachdenken bereitete ihm Übelkeit.
Er sah noch, wie ein paar der Attentäter in geduckter Haltung auf den Bergpfad zuliefen. Wollten sie sich vergewissern, ob Custos auch wirklich tot war, zerfetzt von ihren Kugeln?
Die Bilder verschwammen vor Enricos Augen. Direkt vor ihm öffnete sich ein schwarzes Loch, ein immer größer werdender Tunnel, der Erlösung von Übelkeit und Müdigkeit versprach. Nur zu bereitwillig ließ Enrico sich in dieses Loch fallen.
Das Licht kehrte zurück, aber mit ihm auch Müdigkeit und Übelkeit. Enrico fühlte sich hundeelend und hörte die Stimme, die zu ihm sprach, wie durch einen dicken Wattebausch. Jemand hielt seine Hand und blickte ihn an. Er wusste, dass er das Gesicht kannte, obwohl er es nicht klar erkennen konnte. Seine Augen tränten stark, und er konnte alles um sich herum nur verschwommen sehen. Die Person neben ihm war eine Frau, und sie tupfte seine Augen mit einem weichen Tuch ab. Er sah jetzt besser, erkannte langes, rotes Haar, das ein schönes, ernst dreinblickendes Gesicht umspielte. »Wie geht es dir?«, fragte Vanessa, und er wunderte sich nur kurz darüber, dass sie ihn duzte.
Auf einmal sah er alles wieder vor sich, die schwer bewaffneten Soldaten und die Prozession mit dem Papst an der Spitze. Statt Vanessas Frage zu beantworten, wollte er wissen:
»Was ist mit Elena und Alexander? Und mit dem Papst?«
»Custos ist höchstwahrscheinlich tot. Alexander und Elena haben es mit ein paar Schrammen überstanden. Sie sind auch hier.«
Er lag in einer Art besserem Feldbett, um ihn herum standen dünne Trennwände. Jetzt erst bemerkte er die vielen Stimmen der anderen Patienten und ihrer Besucher jenseits der Trennwände. In diesem Raum mussten viele Menschen liegen.
»Wo sind wir?«, fragte Enrico.
Es kostete ihn wie schon eben einige Anstrengung, die Wörter deutlich zu formulieren. Seine Zunge war schwer und gehorchte ihm nur widerwillig.
»In einem Notlazarett der Armee, etwa fünf Kilometer von Salerno entfernt. Man hat diese Baracken ursprünglich für die Erdbebenopfer errichtet. Aber jetzt liegen hier auch viele, die bei dem Attentat verletzt wurden.«
»Erzähl mir bitte alles, was du weißt!«
Vanessa nickte und hielt wieder seine rechte Hand.
»Alexanders Schuss konnte den Papst nicht retten, aber vielleicht hat er wenigstens einigen Begleitern, die weiter hinten gingen, das Leben gerettet. Sie warfen sich in Deckung, und viele von ihnen liegen hier verletzt. Die hohen kirchlichen Würdenträger aber, die in Custos’ Nähe waren, sind zum großen Teil tot. Viele von ihnen hat man noch nicht identifizieren können. Die abgefeuerte Rakete soll sie regelrecht in Fetzen gerissen haben. Auch Custos hat man noch nicht identifiziert, aber da die Attentäter es auf ihn abgesehen hatten, wird davon ausgegangen, dass er tot ist.«
Enrico dachte an sein Gespräch mit dem Papst auf der Dachterrasse des Apostolischen Palastes, und
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