Engelsfluch
Schmerz erfüllte ihn. Die Welt hatte mit dem so genannten Engelspapst einen großen, unersetzlichen Mann verloren.
»Wir vier haben das sprichwörtliche Glück im Unglück gehabt«, fuhr Vanessa fort. »Nachdem die Attentäter uns durch eine Betäubungsgasgranate außer Gefecht gesetzt hatten, ließen sie uns in Ruhe. Gott sei Dank, denn sonst wären wir wohl nicht mehr am Leben.«
»Die Attentäter – waren es wirklich Soldaten?«
»Die Armee bestreitet das. Es sollen Männer gewesen sein, die sich als italienische Soldaten verkleidet haben. Aber niemand kann sagen, woher sie kamen und wohin sie verschwunden sind.«
»Sie sind spurlos untergetaucht?«
»Ja. Bei dem Chaos, das zurzeit im Erdbebengebiet herrscht, ist das kein Wunder.«
Ein Gesicht lugte um eine Trennwand, eine Frau mit kurzem blondem Haar im weißen Kittel. »Ah, der Patient ist schon wieder guter Dinge. Fühlen Sie sich in der Lage, einen Besucher zu empfangen, Signore?«
»Ja, sicher«, sagte Enrico und war überrascht, als der Privatsekretär des Papstes an sein Bett trat.
Don Luu hatte ein großes Pflaster mitten auf der Stirn, und sein linker Arm steckte in einer Schlinge. Er nickte Vanessa und Enrico zu, bevor er sagte: »Heute ist ein schwarzer Tag für die Kirche und die ganze Menschheit. Wir haben den Heiligen Vater verloren, und Trauer erfüllt mein Herz. Trotzdem muss ich Ihnen beiden danken. Ohne Ihre Hilfe wären noch mehr Menschen gestorben.«
»Wir haben nichts getan«, erwiderte Enrico.
»Dank Ihnen und Alexander Rosin, der auf die Attentäter geschossen hat, konnten wenigstens diejenigen, die weiter hinten in der Prozession gingen, Deckung suchen. So auch ich.
Ich bin zurzeit nicht gut zu Fuß. Seit bei dem Erdbeben in Neapel ein Schrank auf mich gestürzt ist, habe ich Probleme mit meinem linken Bein. Wäre ich vorn gewesen, bei Seiner Heiligkeit stände ich jetzt nicht vor Ihnen.«
»Ich weiß wirklich nicht, ob Sie uns danken müssen«, sagte Enrico. »Eigentlich wollten wir alle retten. Vor allem wollten wir verhindern, dass der Papst stirbt.«
»Ich bin sicher, dass Sie getan haben, was in Ihren Kräften stand«, sagte Don Luu verständnisvoll. »Später müssen Sie mir Ihre Geschichte in allen Einzelheiten erzählen. Jetzt ist dafür zu wenig Zeit.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »In fünf Minuten habe ich ein Telefonat mit dem Vatikan. Mein fünftes oder sechstes seit dem Anschlag.«
Er verabschiedete sich, und Enrico blickte ihm voller Bewunderung nach. In Don Luu schien eine große Kraft zu stecken, dass er so kurz nach dem Verlust des Papstes wieder seiner Arbeit nachging. Wahrscheinlich fand er diese Kraft in seinem Glauben. Und es musste ein starker Glaube sein, wenn Luu auch angesichts der jüngsten Ereignisse Trost in ihm fand.
Enrico dachte an Papst Custos und stellte sich die Frage, warum Gott es zuließ, dass ein solcher Mann, der noch so viel für die Menschen und die Kirche hätte tun können, sterben musste.
Enrico und seine Begleiter sahen Don Luu erst am Abend des folgenden Tages wieder.
In der Zwischenzeit hatten sie mehreren hohen Offizieren und zwei Regierungsbeamten immer wieder ihre Geschichte erzählen müssen. Niemand wollte so recht glauben, dass sie aufgrund von Prophezeiungen am Ort des Attentats aufgetaucht waren. Aber wenn Enrico ehrlich war, so wäre ihm ihre eigene Geschichte auch seltsam vorgekommen, hätte er sie nicht selbst erlebt. Sie hielten sich noch immer in dem Militärkomplex auf, den man nahe Salerno aus dem Boden gestampft hatte, um den Opfern des Erdbebens und des Attentats zu helfen. Zwei enge Kammern in einer Baracke am Rand des Lagers dienten ihnen als Unterkunft. Als Don Luu zu ihnen kam, wirkte er erschöpft.
»Gibt es Neuigkeiten über den Papst?«, fragte Alexander.
»Hat man inzwischen seine Leiche identifiziert?«
Luu nahm dankbar auf dem Stuhl Platz, den Elena ihm anbot.
»Nein, vermutlich ist der Leichnam Seiner Heiligkeit von Sprenggeschossen zerrissen worden.«
Alexander wollte etwas sagen, schwieg dann aber und starrte betreten die Wand an.
Enrico konnte sich vorstellen, was in dem Schweizer vorging.
Im Mai hatte er Custos vor der Ermordung durch Totus Tuus bewahrt, nur um mitzuerleben, wie den Papst wenige Monate später doch noch sein Schicksal ereilte. In Alexander mussten die verschiedensten Gefühle brodeln: Trauer, Wut und Verbitterung.
Luu blickte in die Runde. »Ist Ihnen noch etwas eingefallen, was Sie mir mitteilen möchten? Ich
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