Engelsfluch
neugierig geworden.«
Enrico zögerte nur kurz, bevor er sagte: »Dann lassen Sie uns die toskanische Bergwelt doch gemeinsam erkunden, Elena!«
Sie strahlte. »Einverstanden! Aber nur unter einer Bedingung: Sie müssen mir unbedingt dieses winzige Nest zeigen, aus dem Ihre Mutter stammt. Wie heißt es doch gleich?«
»Borgo San Pietro.«
»Ja, Borgo San Pietro.«
Im Radio, das den Frühstücksraum mit Adriane Celentano und Zucchero beschallt hatte, begannen die Nachrichten. Enrico fiel auf, dass Elena plötzlich hellhörig wurde.
»… gibt es Neuigkeiten aus Neapel, wo die neu gegründete Heilige Kirche des Wahren Glaubens ihren Sitz hat. Wie soeben vom Pressesprecher der neuen Kirche bekannt gegeben wurde, soll noch heute im Laufe des Tages die Amtseinführung des so genannten Gegenpapstes erfolgen. Natürlich werden wir live darüber berichten, wie Kardinal Tomás Salvati zum Papst gekrönt wird. Im Anschluss an diese Nachrichten erfahren Sie in einer Sondersendung Näheres zu der abgespaltenen Kirche und ihren jüngsten Verlautbarungen. Zum Sport: Die beiden römischen Fußballvereine …«
»Das scheint Sie sehr zu interessieren, Elena«, stellte Enrico fest.
»Ich bin katholisch.«
»Ich auch. Na und?«
»Sie haben wohl Recht, Enrico, zwischen katholisch auf dem Papier und gläubig im Herzen liegt ein gewaltiger Unterschied.
Mich interessiert das alles sehr, mehr noch, ich fürchte mich vor dem, was daraus erwachsen kann. Eine gespaltene Kirche ist eine geschwächte Kirche, und gerade in diesen Zeiten sollte die Kirche stark sein.«
»Spielen Sie auf den neuen Papst an, den richtigen?«
»Ganz recht. Papst Custos. Ich finde es gut, wie er die Kirche reformieren will. Er braucht jede Unterstützung, die er kriegen kann. Es ist nicht schön, dass ihm ausgerechnet jetzt Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.«
»Verzeihen Sie, Elena, aber sehen Sie die Sache nicht etwas einäugig? Sie kennen sich mit der katholischen Kirche wohl besser aus als ich, aber selbst mir ist nicht entgangen, dass der Papst die Kirchenspaltung erst durch seine Reformen ausgelöst hat. Da trägt er nach meiner Meinung zumindest eine Mitschuld an den Knüppeln, über die er jetzt zu stolpern droht.«
Elena machte ein ernstes Gesicht, jede Heiterkeit schien aus ihren Zügen verflogen zu sein. Sie schob die Schale mit dem erst halb gegessenen Fruchtjoghurt von sich weg. »Seien Sie mir nicht böse, Enrico, aber aus unserem Ausflug in die Berge wird nichts. Sie werden das sicher nicht verstehen, aber ich werde diesen sonnigen Tag im Fernsehraum des Hotels verbringen. Die Amtseinführung des Gegenpapstes will ich mir nicht entgehen lassen.«
Als Enrico eine Stunde später in den Fernsehraum trat, war er überrascht, wie voll es hier war. Er hatte gedacht, Elena allein anzutreffen. Aber er hatte nicht mit der tief verwurzelten Religiosität der Italiener gerechnet. Ganze Familien saßen dicht gedrängt in den Sitzgruppen und verfolgen gespannt die Live-
Übertragung aus Neapel. Auf dem Bildschirm des umlagerten Fernsehers sah man eine große Kirche, um die sich Tausende von Menschen drängten.
»… sehen wir den Dom von Neapel, wo in wenigen Minuten die Amtseinführung des Gegenpapstes stattfinden wird«, berichtete eine Stimme aus dem Off. »Hier im Dom wird das Blut des heiligen Gennaro aufbewahrt, und vor drei Tagen fand hier, wie an jedem neunzehnten September, das so genannte Blutwunder statt. Wenn das Blut sich an diesem Tag verflüssigt, was meistens geschieht, ist alles in Ordnung. Verflüssigt es sich aber nicht, drohen große Katastrophen. In diesem Jahr ist das Blut nicht flüssig geworden. Die neue Glaubenskirche führt das auf die nach ihrer Meinung frevlerischen Reformen des Vatikans zurück, die Gott verärgert hätten. Aus dem Vatikan wiederum war zu hören, dass an dem negativen Ausgang des diesjährigen Blutwunders die Kirchenspaltung und der damit verbundene Verrat vieler Geistlicher an der Amtskirche schuld sei.«
»Gehören solche ›Blutwunder‹ auch zu Ihrem Glauben, Elena?«, fragte Enrico im Flüsterton, als er neben sie trat. Sie saß in einem weichen Sessel. Da kein Sitzplatz mehr frei war, ließ er sich einfach neben ihr im Schneidersitz auf dem Boden nieder.
Elena blickte ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Sie hier?«
»Wie Sie sehen.«
»Aber Sie wollten doch in die Berge!«
»Sie auch. Jetzt haben wir beide unsere Pläne geändert. Ein Vorschlag zur Güte: Heute machen wir unseren
Weitere Kostenlose Bücher