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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Fernsehtag, und morgen geht’s hinaus in die freie Natur. Was halten Sie davon?«
    »Ein ganz und gar hervorragender Vorschlag«, sagte sie mit einem breiten Lächeln, das Enrico sehr gefiel. Der Fernsehreporter, der jetzt eingeblendet wurde, berichtete, dass die neu gegründete Glaubenskirche, wie sie kurz genannt wurde, gerade im südlichen Italien viele Anhänger gefunden habe. Ein Großteil der neapolitanischen Geistlichen war zu ihr übergewechselt. Der Reporter führte das als Grund dafür an, dass die Amtseinführung des Gegenpapstes in Neapel stattfand.
    Plötzlich wirkte der Reporter verwirrt, er hatte anscheinend über den Miniempfänger in seinem Ohr eine wichtige Nachricht erhalten. »Meine Damen und Herren, wie ich gerade erfahre, steht der erste öffentliche Auftritt des Gegenpapstes kurz bevor.
    Wir schalten deshalb zum Hauptportal des Doms.«
    Dort stand vor dem mittleren der drei Tore ein abtrünniger Kardinal in seiner purpurnen Amtstracht und verkündete:
    » Habemus papam! — Wir haben einen Papst!«

    Die drei Tore wurden geöffnet, und Hellebardenträger in alten Uniformen traten im Paradeschritt ins Freie, um auf dem Vorplatz Aufstellung zu nehmen.
    »Das sieht ja aus wie eine Travestie der Schweizergarde«, platzte Enrico heraus.
    »Es sind tatsächlich Schweizer, aus denen die Gegenkirche ihre Papstgarde gebildet hat«, erklärte Elena. »Die Abtrünnigen geben sich alle Mühe, authentischer zu wirken als die authentische Kirche.«
    Den Hellebardieren folgten Musikanten in den gleichen, an die richtige Schweizergarde erinnernden Uniformen. Mit einem Trommelwirbel begleiteten sie den Auftritt des Gegenpapstes, der in seinem weißen Gewand aus dem Dunkel des mittleren Portals auftauchte und von großem Jubel empfangen wurde.
    Offenbar waren viele Anhänger der Glaubenskirche zu dem großen Ereignis nach Neapel gekommen.
    »Wir haben einen Papst«, sagte der abtrünnige Kardinal erneut. »Kardinal Tomás Salvati, der den Namen Lucius IV.
    gewählt hat.«
    »Ausgerechnet Lucius«, sagte Elena leise.
    »Was ist dagegen einzuwenden?«, fragte Enrico.
    »Nichts, es ist aus der Sicht des Gegenpapstes ein sehr sinnvoller Name. Der Lichte, der Klare. Das behauptet der Gegenpapst ja zu sein. Die klare Alternative zu dem aus seiner Sicht frevlerischen Papst.«
    »Das alles kann ich nicht beurteilen. Aber rein äußerlich gibt dieser Lucius eine gute Figur ab.«
    Der Gegenpapst war schlank und hoch gewachsen und für einen Papst noch relativ jung. Enrico hätte ihn als einen agilen Mittfünfziger bezeichnet. Lucius lächelte gewinnend in die Kameras und erteilte den Segen urbi et orbi. Bislang war es im Fernsehraum verhältnismäßig ruhig geblieben. Jetzt aber schieden sich die Geister in Befürworter und Gegner des Gegenpapstes.
    »Der Stadt und dem Erdkreis, dass ich nicht lache!«, spottete einer der Gegner. »Dieser Lucius ist doch gar nicht in der Stadt Rom. Nur dort hat ein Papst seinen rechtmäßigen Sitz, aber nicht in Neapel!«
    »Nur Geduld, Lucius wird schon noch nach Rom kommen!«, erwiderte jemand aus der anderen Ecke des Raums. So ging es eine ganze Weile hin und her, und der Streit überlagerte einen Teil von Lucius’ Ansprache. Elena rutschte in ihrem Sessel ganz weit nach vorn, um sich nichts von der Rede entgehen zu lassen.
    Auch Enrico konzentrierte sich auf den Fernseher, aber er konnte die Worte des Gegenpapstes nicht hören. In seinem Kopf war wieder diese seltsame Stimme, die ihn rief.
    Hörst du mich? Das ist gut. Du musst mir folgen, darfst nicht vor mir davonlaufen. Folge mir! Sosehr Enrico sich auch bemühte, er konnte die Stimme nicht aus seinem Kopf verdrängen. Wieder sah er die Traumbilder vor sich, spürte er die Hitze und den Schrecken. Erneut packte ihn Schwindel, und der ganze Raum mit dem Fernseher und den vielen Leuten verwandelte sich in ein Karussell, das sich drehte und drehte und drehte …
    Hände packten ihn, stützten ihn auf dem Weg in sein Zimmer, und erleichtert sackte er auf das vom Zimmermädchen frisch gemachte Bett. Über ihm erschien ein besorgtes Gesicht mit grünen Augen und hohen Wangenknochen. Elena.
    »Wie geht es Ihnen, Enrico? Soll ich einen Arzt rufen?«
    »Nicht nötig, danke. Ich kenne diese Anfälle schon. In ein paar Minuten ist alles vorüber. Ich muss mich nur ausruhen.
    Gehen Sie ruhig wieder zum Fernseher!«

    »Und Sie?«
    »Ich werde versuchen zu schlafen. Letzte Nacht habe ich sehr schlecht geschlafen. Vielleicht kann ich das jetzt

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