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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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ihr Unwesen trieben. Ob es tatsächlich so war oder ob Peppo mehr von seiner Furcht als von konkreten Verdachtsmomenten getrieben wurde, blieb sich gleich. Mein Kutscher schien nicht gewillt, in nächster Zeit eine Rast einzulegen oder die beiden kräftigen Pferde auch nur ein wenig langsamer laufen zu lassen. Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Diese unwegsame Gegend bot Räuberbanden wohl die besten Verstecke, und die einsame Straße lud zu einem Überfall auf Reisende geradezu ein. Die Kriege der letzten Jahre, mit denen der frisch gekrönte Kaiser der Franzosen Europa überzogen hatte, ließen eine ständig wachsende Schar an menschlichem Strandgut zurück: Deserteure und Versehrte, Leichenfledderer und Halsabschneider, Witwen und Waisenkinder säumten den Weg der großen Armeen, brachten auch dort noch Unheil über die Menschen, wo Marschtritt und Kanonendonner längst verhallt waren. Erschöpft ließ ich mich zurückfallen in das schweißfleckige Polster der Sitze und war jetzt gar nicht mehr so unfroh über den Umstand, dass ich ohne Reisegefährten auskommen musste. Zuweilen hatte ich die Gelegenheit, ein treffliches Wort zu wechseln, schmerzhaft vermisst, zumal der Italiener vorn auf dem Kutschbock überaus maulfaul war. Jetzt aber war ich froh, dass niemand sonst Zeuge meines erbärmlichen Zustands war und dass ich selbst davon verschont wurde, die Leiden anderer Reisender ertragen zu müssen, ihr Gejammer und ihre Ausdünstungen. Ich schloss die Augen und versuchte zu schlafen, aber das ständige Gehüpfe der über Stock und Stein rollenden Kutsche ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ich fühlte mich gefangen in einem Wachtraum, der vor drei Wochen begonnen hatte, mit dem ungewöhnlichsten Brief, den ich zeit meines Lebens erhalten habe. Ich zog den ledernen Umschlag hervor, in dem ich das Schreiben verwahrte, packte es aus und faltete es auseinander. Auf teurem Papier standen, geschrieben im saubersten Kanzleistil, jene wenigen französischen Sätze, die mich aus dem beschaulichen, für mich aber in letzter Zeit nicht sehr komfortablen Gelle fortgelockt hatten. Mit Postkutschen und Flussbooten war ich gereist, um schließlich in einem kleinen Ort an der Grenze zum norditalienischen Fürstentum Lucca die avisierte Reisekutsche zu besteigen, deren einziger Passagier ich seitdem war.
    »Hochverehrter Monsieur Schreiber! Wenn Sie an einer gut bezahlten Aufgabe im sonnigen Italien interessiert sind, sollten Sie unser Angebot auf der Stelle annehmen. Über Art und Dauer Ihrer Tätigkeit können wir Ihnen gegenwärtig leider keine Angaben machen. Seien Sie aber versichert, dass Ihr berufliches Interesse nicht zu kurz kommen wird, wie übrigens auch nicht Ihre Börse. Sie müssten sich allerdings heute noch entscheiden.
    Falls, was wir sehr hoffen, Ihre Antwort bejahend ausfällt, melden Sie sich beim Herrn Direktor des Bankhauses Dombrede, der Ihnen weitere Instruktionen sowie eine ausreichende Reisekasse aushändigen wird. Es versteht sich, dass in diesem Fall auch Ihre sämtlichen Verbindlichkeiten beim genannten Bankhaus als von uns getilgt gelten.«
    Das war alles. Kein Abschiedsgruß und keine Unterschrift, nicht einmal ein Absender. Und dieser letzte Satz! Ich las ihn wieder und wieder, damals wie heute, und wusste nicht, ob ich in Lachen oder Weinen ausbrechen sollte. Sämtliche Verbindlichkeiten getilgt? Damit wäre die Sorge meines Lebens von meinen Schultern genommen. Gab es tatsächlich einen unbekannten Gönner, der mir solch eine Wohltat erweisen wollte? Oder wurde ich, wie ich damals befürchtete, das Opfer eines geschmacklosen Scherzes? Alles Grübeln half nichts, nur im Bankhaus Dombrede konnte ich die Wahrheit erfahren.
    Als ich über den Marktplatz meiner Heimatstadt eilte, suchten meine Augen die Fassaden nach einem verborgenen Beobachter ab, der sich den Bauch vor Lachen hielt und sich über seinen gelungenen Streich freute. Aber ich konnte niemanden entdecken. Im Bankhaus fragte ich fast schüchtern nach dem Direktor und hatte zu meiner Überraschung den Eindruck, dass ich bereits erwartet wurde. Man behandelte mich nicht wie den mittellosen Schuldner, als der ich hier verschrien war, sondern wie einen willkommenen Gast, und der Herr Bankdirektor Lohmann schüttelte meine Hand wie die eines gutes Freundes, mindestens aber eines bedeutenden Kunden. Er beglückwünschte mich zu meinem generösen Auftraggeber, der meine sämtlichen Verbindlichkeiten zu tilgen bereit sei. Ich wollte mir

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