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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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dem Flughafen für diesen kleinen Fiat entschieden«, sagte er. »Ein etwas größeres Auto wäre schon fast breiter als die Fahrbahn.«
    Auf dem Beifahrersitz lachte Elena Vida und sagte: »Dann bin ich gespannt, was du jetzt machst, Enrico.« Als sie sich gestern Abend zum Essen getroffen hatten, waren sie zum zwanglosen Du übergegangen.
    Elena zeigte nach vorn, wo ein Kleintransporter um die nächste Kurve bog und zu hupen begann.
    »Der ist gut!«, zischte Enrico. »Wer von unten kommt, hat Vorfahrt.«
    »Vielleicht in Deutschland«, feixte Elena. »Aber hier wohl kaum, und schon gar nicht als Tourist.«

    »Dann müssen wir die Notbremse ziehen«, meinte Enrico und hielt den Fiat mitten auf der Straße an, während er gleichzeitig das Warnblinklicht einschaltete.
    »Was soll das?«, fragte Elena irritiert.
    Unter erneutem Hupen kam der Kleintransporter, ein japanisches Fabrikat, nur einen halben Meter vor dem Fiat zum Stehen. Der Fahrer, ein stiernackiger, noch junger Mann im verschwitzten Unterhemd stieg aus und überschüttete die Insassen des Fiats mit einer Schimpfkanonade, wie man sie nirgendwo sonst als im italienischen Straßenverkehr zu hören bekommt. Auch Enrico und Elena stiegen aus und warteten ab, bis ihr schimpfendes Gegenüber sich ein wenig beruhigt hatte.
    Enrico bedachte ihn mit einem entwaffnenden Lächeln.
    »Entschuldigen Sie, dass wir Sie aufhalten, Signore, aber hier sieht ein Baum und ein Weg aus wie der andere. Könnten Sie uns sagen, ob wir noch auf der richtigen Straße sind?« Dem Wort Straße legte er einen eigentümlichen Unterton bei. Der Mann aus dem Transporter kratzte sich in der linken Achselhöhle und fragte: »Wohin wollen Sie?«
    »Nach Borgo San Pietro«, antwortete Enrico. Der andere legte den Kopf schief, als habe er nicht richtig gehört. »Wohin?«
    Enrico wiederholte seine Antwort.
    »Das ist nur ein kleines Bergdorf, nichts Besonderes. Was wollen Sie da?«
    Elena trat einen Schritt vor. »Wir haben uns in den Kopf gesetzt, uns kleine Bergdörfer anzusehen, die nichts Besonderes sind.«
    »Aber Borgo San Pietro liegt ziemlich weit oben in den Bergen.«

    »Kennen Sie den Ort gut?«, fragte Elena. Statt zu antworten, sagte der Mann im Unterhemd: »Ich muss weiter. Machen Sie die Straße frei!«
    Er stieg wieder in seinen Wagen, ohne Enrico und Elena noch eines Blickes zu würdigen.
    »Sind hier in den Bergen alle so drauf?«, fragte Enrico, als er und Elena wieder einstiegen.
    »Keine Ahnung, ich bin nur aus Rom«, sagte Elena mit aufgesetzter Unschuldsmiene. »Aber falls das Verhalten des Typen da in dieser Gegend üblich ist, bin ich froh, dass deine Mutter rechtzeitig von hier abgehauen ist.«
    »Ist das eine verklausulierte Formulierung dafür, dass du mich ganz erträglich findest?«, kam es von Enrico, während er den Wagen anließ, sich halb nach hinten wandte und vorsichtig zurücksetzte.
    Elena zwinkerte ihm zu. »Bis jetzt hast du dich noch nicht so schrecklich danebenbenommen.«
    »Auch nicht gestern, als ich den Schwindelanfall bekam?«
    »Dafür konntest du wohl kaum was. Wenn du das öfter hast, würde ich an deiner Stelle mal zum Arzt gehen.«
    »Da war ich schon als kleines Kind. Meine Eltern haben mich von einem Doktor zum nächsten geschleppt. Ohne den geringsten Erfolg. Körperlich bin ich kerngesund, sagen die Quacksalber. Ist alles irgendwie psychisch, die Alpträume und das Schwindelgefühl. Aber was der Auslöser ist, hat keiner von ihnen sagen können. Ich muss wohl damit leben, dass ich eine Macke habe.«
    »Das müssen andere auch«, sagte Elena und blickte zu dem Kleintransporter, der sich mit einer wütenden Huporgie an ihnen vorbeischob. »Aber bei denen ist es mir egal.«

    »Bei mir nicht?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil du ein netter Junge bist. Du solltest auf dich Acht geben. Ohne dich müsste ich mich ganz allein diese Berge raufquälen.«
    Sie setzten ihre Fahrt fort, und nach ein paar weiteren Biegungen wurde die Straße weniger kurvenreich. Enrico entspannte sich ein wenig und dachte über die seltsame Lektüre nach, mit der er den gestrigen Nachmittag verbracht hatte.
    Während er hier durch die einsame Bergwildnis fuhr, fühlte er sich fast ein bisschen wie Fabius Lorenz Schreiber auf seiner Reise ins Ungewisse. Ein seltsamer Zufall, dass er zweihundert Jahre später dieselbe Gegend bereiste wie der Vorfahr jenes Mannes, den er fast sein ganzes Leben lang für seinen Vater gehalten hatte. Er war nicht sonderlich weit mit

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