Engelsfluch
stören, erkundigte er sich nach der Familie Baldanello.
Benedetto Cavara ließ seine Gabel sinken und blickte Enrico skeptisch an. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Bevor meine Mutter heiratete, hieß sie Mariella Baldanello.
Im August ist sie verstorben. Wenn hier noch Verwandte von ihr leben, würde ich sie gern sprechen und sie vom Tod meiner Mutter in Kenntnis setzen.«
Der Bürgermeister schüttelte den Kopf. »Ich muss Sie enttäuschen, Signore. Die Baldanellos gab es hier mal, das ist richtig. Aber die alten Leute aus dieser Familie sind gestorben und die jungen fortgezogen. Ihnen ist vielleicht schon aufgefallen, dass Borgo San Pietro nicht gerade an Übervölkerung leidet.«
»So ein Pech«, sagte Enrico enttäuscht. »Haben Sie möglicherweise Adressen der Fortgezogenen?«
»Nein, nichts. Wozu auch? Wer Borgo San Pietro einmal verlässt, kehrt nicht wieder. Wie es auch bei Ihrer Mutter gewesen ist.«
»Und der Dorfpfarrer? Kann er mir vielleicht weiterhelfen?«
»Das glaube ich nicht. Er bewahrt auch keine Adressen Fortgezogener auf. Außerdem ist er heute nicht im Ort. Er musste in einer familiären Angelegenheit dringend nach Pisa.
Wir wissen nicht, wann er zurückkommt.«
Enrico und Elena verabschiedeten sich und gingen wieder hinaus auf die Piazza, wo inzwischen kein Mensch mehr zu sehen war. Stühle, Tische und Sonnenschirme standen noch vor der Bar, aber die Gäste waren verschwunden, und vor der Tür hing ein braunes Pappschild, auf das in roten Blockbuchstaben ein Wort gemalt war: »Chiuso« – geschlossen. Enrico kratzte sich am Kopf. »Nanu, war die Mittagspause so kurz?«
Elena zog ihre Sonnenbrille von den Haaren hinunter ins Gesicht und ließ ihren Blick über den verwaisten Platz schweifen. »Ich glaube, das liegt an uns. Borgo San Pietro versteckt sich vor uns.«
»Was haben wir beide nur an uns, dass man uns meidet wie Aussätzige?«
»Wir sind Fremde. Vielleicht die ersten in diesen Tagen, aber nicht die einzigen. Der zu erwartende Ansturm ist es wahrscheinlich, den die Leute hier fürchten. Es kann nicht mehr lange dauern, bis hier die ersten Journalisten herumschnüffeln.
Wir sind für die Dorfbewohner so etwas wie die Vorhut angesichts der letzten Ruhe vor dem Sturm.«
»Ein Sturm? Wovon sprichst du, Elena? Habe ich was verpasst?«
»Das kann man wohl sagen. Als es dir gestern nicht gut ging und du dich ins Bett gelegt hast, wurde es im Fernsehbericht über die Amtseinführung des Gegenpapstes erwähnt.«
»Was? Dass dem Dorf hier ein Sturm droht?«
»So ungefähr. Genauer gesagt: Gegenpapst Lucius alias Tomás Salvati stammt aus diesem Ort, und er hat hier auch ein paar Jahre als Priester gewirkt.«
»Ach du Scheiße!«
»Lass uns das hier nicht in der prallen Sonne besprechen, Enrico. Gehen wir zurück zum Wagen!«
Sie überquerten den Platz und tauchten in den Schatten der schmalen Gasse ein, durch die sie hergekommen waren. Nach nur wenigen Schritten blieb Enrico stehen und murmelte: »Sie sollten doch eigentlich froh sein.«
»Wer?«
»Die Leute hier in Borgo San Pietro. Das Dorf könnte ein Touristenmagnet werden, ein Wallfahrtsort für die Anhänger der neuen Kirche.«
»Vielleicht legen die Menschen hier darauf keinen Wert. Es ist nicht jedermanns Sache, Scharen von Fremden durch seinen Vorgarten trampeln zu lassen und sein Seelenleben vor Journalisten auszubreiten, denen es in Wahrheit nur um Schlagzeilen und Auflage geht.«
»Das hört sich an, als würdest du dich damit auskennen, Elena.«
Elena wirkte für einen Augenblick irritiert, als wüsste sie nicht, was sie darauf erwidern solle. Während sie noch nach Worten suchte, wurde sie von etwas abgelenkt und sagte leise:
»Das ist doch der Bürgermeister! Der hat sein Mittagessen aber schnell vertilgt.«
Benedetto Cavara war aus seinem Haus getreten und blickte über den Platz. Dann ging er eiligen Schrittes am Rand der Piazza entlang und verschwand hinter einem Mauervorsprung.
»Er hat bestimmt nach uns Ausschau gehalten«, murmelte Enrico.
»Du meinst, er sucht uns?«
»Im Gegenteil, er schien mir nicht besonders erpicht auf eine nähere Bekanntschaft. Hast du gesehen, wohin er gegangen ist?
In der Richtung liegt doch die Dorfkirche.«
»Du könntest Recht haben, Enrico. Vielleicht ist die Geschichte mit dem verreisten Pfarrer nur ein Märchen. Vorhin vor der Bar hat niemand erwähnt, dass er nicht im Dorf sei.«
»Aber wozu der Aufwand? Nur, um uns schnell loszuwerden?«
»Keine
Weitere Kostenlose Bücher