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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Aufmerksam sah sie sich in der Küche um.
    »Er ist definitiv ermordet worden«, sagte sie mit Blick auf den blutenden Schädel und den schweren Kerzenständer, der blutverschmiert in einer Ecke auf dem Küchenboden lag. »Wer tut so etwas in einem Ort wie Borgo San Pietro?«
    »Auf dem abgelegenen Land findet man oft abgefeimtere Verbrechen als in der Großstadt.«
    »Lernt man solche Weisheiten vor Gericht?«, fragte Elena.
    »Nein, in Kriminalromanen. Und da lernt man auch, dass man in einem Fall wie diesem schleunigst die Polizei rufen sollte.«

    Enrico zückte sein Handy, erstarrte aber mitten in der Bewegung. Sein Blick war auf den kleinen, etwa sechsjährigen Jungen gefallen, der mit weit aufgerissenen Augen in der Küchentür stand. Sie kannten ihn, hatten ihn erst vor kurzem am Mittagstisch des Bürgermeisters gesehen. Vermutlich hatte Signora Cavara ihn ausgesandt, um nach seinem Vater Ausschau zu halten. Die Lippen des Jungen bebten, als wolle er etwas sagen, könne aber keinen Ton hervorbringen.
    »Wir haben deinem Vater nichts getan …«, setzte Elena zu einer hilflosen Erklärung an. »Du solltest dir das nicht länger ansehen. Wie heißt du, Junge?«
    Sie ging langsam auf den Jungen zu. Vielleicht löste das seine Erstarrung. Er wandte sich um, lief schreiend durch den Flur und verschwand durch eine halb offen stehende Tür, die direkt ins Freie führte.
    »Das ist gar nicht gut«, zischte Elena. »Wenn der Kleine da draußen seine Geschichte erzählt, hat man uns nicht nur wegen Hausfriedensbruchs beim Wickel. Wir sollten ihm schnellstens nach und dafür sorgen, dass kein falsches Bild entsteht!«
    Aber es war schon zu spät. Eben noch menschenleer, hatte sich draußen auf dem Vorplatz jetzt, wie es schien, das halbe Dorf versammelt. Die Menschen umringten den Sohn des Ermordeten und lauschten seinen hastigen Worten. Böse Blicke richteten sich auf die beiden Fremden, und dann flog etwas durch die Luft und streifte Enricos rechte Wange. Es war ein Stein, der hinter ihm gegen die Hauswand knallte. Ein brennender Schmerz überzog seine rechte Gesichtshälfte. Als er die Hand dagegen hielt, waren sämtliche fünf Finger von einer Sekunde zur anderen blutig.
    Weitere Steine flogen und gingen um Enrico und Elena wie Hagel nieder. Die Dorfbewohner schlossen sich zu einer bedrohlichen Front zusammen, die Schritt für Schritt näher rückte. Knüppel und Messer in den Händen der Männer verhießen nichts Gutes.
    »Die lassen nicht mit sich reden«, erkannte Elena. »Wir müssen hier weg, schnell!«
    Sie nahm Enrico bei der Hand und zog ihn in die nächste Gasse. Sie liefen, so schnell sie konnten, und er fragte keuchend:
    »Wie ist dein Plan?«
    »Zurück zum Auto und abhauen.«
    »Ein guter Plan. Hoffentlich finden wir den Weg.«
    »Ich habe einen guten Orientierungssinn.«
    Tatsächlich kamen Enrico und Elena aus dem Gewirr der Gassen an einer Stelle heraus, die nicht weit vom Parkplatz entfernt lag. Enrico spürte, wie das warme Blut von seiner Wange den Hals entlang unter seinen Hemdkragen lief, kümmerte sich aber nicht weiter darum. Seine Verletzung war nichts im Vergleich zu dem, was ihnen drohte, wenn sie den Dorfbewohnern in die Hände fielen.
    Der Parkplatz lag hinter einem kleinen, buschbewachsenen Hügel. Als sie den umrundet hatten, blieben sie wie angewurzelt stehen. Bei ihrem Wagen standen vier Männer, bewaffnet mit Knüppeln und Schrotflinten. Da krachte auch schon der erste Schuss, und wenige Meter neben ihnen spritzte der Boden auf.
    »Die sind wahnsinnig«, keuchte Enrico. »Weg hier, schnell!«
    Diesmal war er es, der Elena mit sich zerrte, bis der Hügel sie vor den Männern auf dem Parkplatz abschirmte. Aber eine Ruhepause war ihnen nicht vergönnt. Zahlreiche Dorfbewohner strömten zwischen den Häusern und Mauern von Borgo San Pietro ins Freie, und allen stand blanker Zorn ins Gesicht geschrieben.

5
    Rom, Mittwoch, 23. September
    Pünktlich um ein Uhr mittags traf Commissario Donati in seinem Fiat Tempra vor dem schmalen Haus an der Via Catalana ein, in dem Alexander Rosin sich nach seinem Ausscheiden aus der Garde eine kleine Wohnung genommen hatte. Alexander wartete schon vor dem Haus und stieg schnell ein, bevor die Autofahrer hinter dem Tempra zu hupen begannen. Die Römer meisterten den chaotischen Straßenverkehr in ihrer Stadt mit ebensolcher Kunstfertigkeit wie Ungeduld. Dabei war es um diese Zeit noch erträglich, erst recht, als Donati und Alexander endlich den engeren

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