Engelsfluch
das in Leder gebundene Buch so, dass Alexander die Eintragungen lesen konnte. »Hier steht es, um vierzehn Uhr: ›V. Falk‹. Aber wer oder was ist ›V. Falk‹?«
Alexander überlegte, er hatte den Namen schon einmal gehört.
In Gedanken ging er die letzten Tage zurück, bis er beim Frei, tag war, im Vorzimmer des Kardinalpräfekten Renzo Lavagnino.
»Vanessa Falk!«, sagte er. »Das V steht für Vanessa.«
»Mir ist, als hätte ich den Namen schon mal gehört«, murmelte Donati.
»Aber Stelvio! Ein Mann in den besten Jahren und kein Auge für das schöne Geschlecht? Erinnerst du dich wirklich nicht an die Rothaarige, die in Kardinal Lavagninos Vorzimmer saß und reichlich düster dreinschaute, als wir vor ihr durchgelassen wurden?«
Donati schnippte mit Daumen und Mittelfinger. »Du hast Recht, die hieß Vanessa Falk! Die Dame scheint dich mächtig beeindruckt zu haben.«
Alexander grinste. »Wäre ich nicht schon vergeben, könnte mir ›die Dame‹ durchaus gefährlich werden – und ich ihr. Unter den gegebenen Umständen interessiert mich an ihr aber nur die Frage, was um alles in der Welt sie von Pfarrer Dottesio wollte.«
»Oder er von ihr.«
Alexander nickte. »Oder so.«
»Du hast auf Deutsch mit ihr gesprochen, nicht?«
»Korrekt.«
»Weißt du mehr über sie?«
»Bedaure. Wir haben uns ja nur kurz gesehen.«
»Dann hoffen wir mal, dass wir im Sekretariat des Kardinalpräfekten mehr über sie erfahren«, sagte Donati und griff zum Telefon. Das Gespräch war kurz und offenbar erfreulich. Mit zufriedenem Gesicht legte er den Hörer auf. »Die Dame ist Wissenschaftlerin und hat um die Erlaubnis gebeten, im vatikanischen Geheimarchiv zu recherchieren.«
»Und weiter?«
»Sie hat die Erlaubnis erhalten und sitzt zurzeit im Lesesaal der Bibliothek.« Donati stand auf, griff nach seiner Jacke und sagte mit breitem Grinsen: »Watson, rufen Sie uns eine Droschke!«
Die erste Aufregung um das Schisma hatte sich zwar gelegt, aber im Vatikan und rund um den Kirchenstaat war längst keine Ruhe eingekehrt. Noch immer waren auf den Straßen und Plätzen des Viertels mehr Kamerateams und Polizeiposten anzutreffen als unter normalen Umständen. Die Zahl der aufgebrachten Gläubigen auf dem Petersplatz war etwas zurückgegangen, woran das schlechter werdende Wetter vielleicht eine Mitschuld trug. Ganz so viele Überläufer zur Heiligen Kirche des Wahren Glaubens wie vor ein paar Tagen gab es auch nicht mehr. Nicht nur Kardinäle, Bischöfe und Priester hatten sich der neuen Glaubenskirche und ihrem Papst Lucius angeschlossen, manchmal hatten ganze Gemeinden, die ihrem Hirten besonders eng verbunden waren, die Seite gewechselt. In einem Zeitungskommentar, den Elena vor ihrer Reise in die Toskana geschrieben hatte, sprach sie von der größten Krise der Kirche seit ihrem Bestehen.
Das war sicher nicht übertrieben, dachte Alexander, als er seinen Peugeot am Petersplatz vorbei zur Porta Sant’ Anna lenkte. Die beiden Schweizer am Tor kannte er nicht und hielt sie für neue Gardisten, was in ihm unliebsame Erinnerungen an die gestrige Begegnung mit Martin Gloor und seinen Kameraden auslöste. Im Vorzimmer des Kardinalpräfekten wurden Alexander und Donati von dem Sekretär höflich begrüßt, der sie ohne Umschweife zu Kardinal Lavagnino ins Zimmer führte.
»Was ist das mit dieser deutschen Wissenschaftlerin?«, fragte Lavagnino nach der Begrüßung. »Was hat sie mit den Morden zu tun?«
»Ob und was, das müssen wir erst herausfinden«, antwortete Donati. »Bisher vermuten wir nur, dass sie sich mit Giovanni Dottesio getroffen hat, einen Tag vor seinem Tod. Können Sie uns etwas über die Frau erzählen?«
»Dr. Falk hat Theologie studiert und kommt aus München.
Sie hat um die Erlaubnis ersucht, Recherchen für eine wissenschaftliche Abhandlung in der Vatikanbibliothek durchzuführen.«
»Zu welchem Thema?«, erkundigte sich Alexander.
»Moment, das muss ich hier irgendwo haben.« Der Leiter der Glaubenskongregation blätterte in seinen Unterlagen. »Ja, hier ist es: ›Parapsychologische Phänomene und religiöse Erscheinungen vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs‹.
Darüber will sie ein Buch schreiben, sagt sie.«
»Wer liest denn so was?«, entfuhr es Donati. Der Kardinal lächelte nachsichtig. »Andere Wissenschaftler oder religiös Interessierte. Aber Dr. Falk kann Ihnen selbst wohl besser sagen, worum es in ihrer Arbeit geht. Wenn Sie möchten, führe ich Sie zu ihr.«
»Wir wollen
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