Engelsfluch
Wissenschaftlerin.
»Ich bin kein Polizist, sondern Journalist«, sagte Alexander und erläuterte kurz sein Verhältnis zu Commissario Donati. Dr.
Falk gestattete sich ein ironisches Lächeln. »Für einen Journalisten finde ich Ihre Gutgläubigkeit fast noch erstaunlicher, Signor Rosin.«
»Ich mache den Job erst ein Vierteljahr. Und warum, bitte, halten Sie mich für gutgläubig?«
»Weil Sie voraussetzen, dass der Vatikan die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit veröffentlicht hat.«
»Bestehen aus Ihrer Sicht ernsthafte Zweifel daran?«
»Als Wissenschaftlerin glaube ich nur das, was ich überprüfen kann. Wenn aber ein Text veröffentlicht wird, dessen Original weiterhin vor den Augen der Öffentlichkeit und der Wissenschaft verborgen im Geheimarchiv des Vatikans bewahrt wird, muss ich Zweifel an seiner Wahrheit beziehungsweise seiner Vollständigkeit haben. Alles andere wäre grob fahrlässig.«
»Ich bin nicht so schrecklich informiert über die Weissagung«, gestand Donati. »War es nicht so, dass drei Kindern die Muttergottes erschienen ist? In Spanien?«
»In Portugal«, berichtigte ihn Vanessa Falk. »Das Dorf Fatima liegt einhundertdreißig Kilometer nördlich von Lissabon.
Die drei Kinder, die Sie erwähnten, hüteten am Himmelfahrtstag des Jahres 1917 außerhalb des Ortes Schafe, als ihre Aufmerksamkeit von seltsamen Lichtern erregt wurde. Plötzlich stand eine Frau in einem weißen Umhang und mit einem funkelnden Rosenkranz in der Hand vor ihnen und eröffnete ihnen, sie komme vom Himmel. Die Frau erschien den Kindern noch mehrere Male. Bei diesen Gelegenheiten waren auch andere Menschen zugegen, die zwar die Lichter sahen, die Frau aber konnte nur von den drei Kindern wahrgenommen werden.«
»Ich habe mal etwas darüber gelesen«, erinnerte Donati sich.
»Die Weissagung dieser Frau, Muttergottes oder nicht, hatte etwas mit schrecklichen Kriegen zu tun, oder?«
»Die Weissagung gliedert sich in drei Teile«, erklärte Vanessa Falk. »Der erste Teil wird allgemein als Vision der Hölle gedeutet. Die Kinder sahen ein riesiges Feuermeer in den Tiefen der Erde, wo sie Gestalten erblickten, die sie für Teufel und sündhafte Seelen hielten. Der zweite Teil der Weissagung betrifft tatsächlich einen Krieg, der unter dem Pontifikat von Papst Pius XII. beginnen sollte, falls die Menschheit nicht aufhörte, Gott zu beleidigen. Ein unbekanntes Licht, das die Nacht erleuchtete, würden diesen Krieg ankündigen. Um die Bestrafung der Welt für ihre Missetaten zu verhindern, sollte Russland der Kirche geweiht werden. Andernfalls, so verkündete die Lichtgestalt, werde Russland seine Irrlehren über die Welt verbreiten und dabei Kriege und Kirchenverfolgungen heraufbeschwören.«
»Pius XII. war doch während des Zweiten Weltkriegs Papst«, warf Donati ein.
Dr. Falk nickte. »So ist es. Und ein seltsames rötliches Licht, das am fünfundzwanzigsten Januar 1938 die nördliche Hemisphäre erleuchtet hat, hält man für das vorausgesagte Kriegszeichen. Kurz darauf, im März, marschierten die deutschen Truppen in Österreich ein, und im Mai 1938 stattete Hitler seinem Bundesgenossen Mussolini einen großen Staatsbesuch ab, um die Einheit der so genannten Achse zu demonstrieren. Die Weichen für den Krieg waren gestellt.«
»Der Russland betreffende Teil der Weissagung ist auch nicht schwer zu entschlüsseln«, sagte Alexander. »Stalin und die unter ihm erfolgte Ausweitung der kommunistischen Einflusssphäre sprechen für sich.«
»So weit, so gut«, meinte Donati. »Aber was ist nun mit dem dritten Teil der Weissagung?«
»Der wurde vom Vatikan lange Zeit unter Verschluss gehalten, was natürlich die Spekulationen blühen ließ«, antwortete Vanessa Falk. »Bei uns in Deutschland erschien 1963
in der Stuttgarter Zeitschrift der angebliche Text der Prophezeiung, den ich aus heutiger Sicht für sehr interessant halte. Darin war von schlimmen Heimsuchungen für die Kirche die Rede. Kardinäle würden sich gegen Kardinäle wenden und Bischöfe gegen Bischöfe. Satan werde in ihrer Mitte marschieren, und in Rom werde es große Veränderungen geben.
Dunkelheit werde über der Kirche liegen und Terror die Welt erschüttern.«
Donati und Alexander starrten die Wissenschaftlerin verblüfft an. Alexander fand zuerst die Sprache wieder und sagte: »Das klingt wie eine Voraussage der aktuellen Kirchenspaltung!«
Borgo San Pietro
Ein kalter Wind fegte durch die engen Gassen, als Enrico und Fulvio Massi
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