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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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ob sie wirklich verstand, wer er war. Sie wirkte sehr geschwächt, körperlich und geistig, und machte den Eindruck, als würde sie das nächste Jahr nicht mehr erleben, vielleicht nicht einmal den nächsten Monat.
    »Mariella ist tot?«, fragte sie schließlich mit heller, hauchdünner Stimme.
    »Ja, meine Mutter starb im letzten Monat«, sagte Enrico.
    »Woher wissen Sie das?«
    Die spröden, dünnen Linien, die nur noch entfernt an Lippen erinnerten, zitterten, was auf Enrico wie die Karikatur eines Lächelns wirkte. »Ich spüre das. Vielleicht, weil ich selbst dem Tod näher bin als dem Leben. Ich spüre, dass Mariella um mich ist.« Ihr Gesicht veränderte sich, wirkte auf einmal erschrocken, und sie kreischte aufgeregt: »Nein, geh weg, versündige dich nicht an mir! Du hast schon genug Unglück und Sünde über uns gebracht, Mariella!«
    Sie sprach zu einer Toten! Enrico tauschte einen bedenklichen Blick mit Massi aus und verfolgte erschrocken, wie die unbegreifliche Panik immer stärker von seiner Großtante Besitz ergriff. Ihr flackernder Blick heftete sich erneut auf Enrico, und stoßweise atmend brachte sie hervor: »Geh auch du weg! Du bist der Sünde verfallen wie dein Vater, das sehe ich dir an. Du hast dieselben Augen, denselben Blick. Dein Vater hat sich an Gott versündigt und die Strafe des Herrn über uns gebracht. Hat er dich zu seinem Vollstrecker ernannt?«
    Enrico glaubte, dass Rosalia Baldanello phantasierte.
    Erinnerungen und Ängste vermischten sich in ihrem verwirrten Verstand mit der Realität. Und doch jagten ihre Worte ihm einen Schauder über den Rücken. Tief in sich spürte er, dass dies nicht nur Phantastereien waren.
    Er blickte ihr in die Augen und fragte: »Was wissen Sie über meinen Vater, Signora?«
    Für einen kurzen Augenblick schien ihr Blick sich zu klären.
    »Dein Vater ist ein besonderer Mann, aber er hat die falsche Wahl getroffen. Er hat sich für Satan entschieden.«
    »Kennen Sie seinen Namen?«
    Sie bäumte sich unter ihrer Wolldecke auf und kreischte:
    »Geh fort! Verlass mein Haus, Satan, und kehr nie mehr zurück!«
    Kaum hatte sie diese Worte mit Inbrunst hervorgestoßen, fiel sie in sich zusammen und begann leise zu wimmern wie ein kleines Kind.

    »Sie gehen jetzt besser«, sagte Pisano und brachte die Besucher zur Haustür. »Signora Baldanellos Zustand wird leider immer schlechter. Sie wird wohl nicht mehr viele Tage haben, und vielleicht ist es für sie so am besten.«
    »Hat die Signora Ihnen gegenüber einmal erwähnt, wer mein Vater ist? Wie er heißt?«
    Der Alte schüttelte den Kopf und blickte Enrico verwundert an: »Wissen Sie denn nicht, wer Ihr Vater ist?«

Rom
    »Der dritte Teil der Weissagung von Fatima wurde doch im Jahr 2000 veröffentlicht, wir sprachen eben darüber«, sagte Commissario Donati, während er sich nach dem Kellner umsah, um noch etwas zu trinken zu bestellen. »Stimmt der tatsächliche Text mit der ominösen Voraussage aus dieser deutschen Zeitung überein?«
    Vanessa Falk lächelte hintergründig. »Wörtlich ganz sicher nicht. Aber ich möchte doch auf der Unterscheidung bestehen, dass der vom Vatikan freigegebene Text nicht unbedingt der tatsächliche oder der vollständige Wortlaut sein muss.«
    Donati hob abwehrend die Hände. »Gut, gut, ich hab’s begriffen. Aber was steht jetzt in der vom Vatikan veröffentlichten Fassung?«
    »Die Kinder sahen einen Engel mit einem Flammenschwert, das offenbar die ganze Welt in Brand setzen wollte. Aber als die Flammen mit der Erscheinung der Frau, der mutmaßlichen Muttergottes, in Berührung kamen, verlöschten sie, und der Engel rief zur Buße auf. Die Kinder hatten dann eine Vision, in der ein in Weiß gekleideter Bischof, also wahrscheinlich der Papst, in Begleitung anderer Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen einen steilen Berg hinaufstieg auf dem ein großes Kreuz stand. Der Weg dorthin führte den Heiligen Vater durch eine halb zerstörte Stadt. Als er vor dem großen Kreuz niederkniete, schossen Soldaten mit Feuerwaffen und mit Pfeilen auf ihn. Viele der Bischöfe, Priester und Ordensleute starben dabei, und mit ihnen starb der Papst. Zwei Engel sammelten das Blut der Märtyrer in kristallenen Kannen und tränkten damit die Seelen, die sich Gott näherten.«
    Donati sah die schöne Wissenschaftlerin abwartend an.
    »Und?«
    »Was und?«
    »Das ist alles?«
    »Reicht das nicht? Eine zerstörte Stadt, ein toter Papst, eine in Auflösung begriffene Welt und eine

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