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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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worden war. Einem Verhör, bei dem der Kardinal sehr viel subtiler vorgegangen war als die Inquisitoren vergangener Jahrhunderte. Schulterzuckend steckte Enrico die Karte ein und ging zum Kirchenportal. Er hatte Hunger, und er war müde. Nach einem schnellen Essen irgendwo im Ort wollte er zum Hotel zurückfahren und sich früh schlafen legen. Aber vorher würde er sich noch die Aufzeichnungen von Fabius Lorenz Schreiber vornehmen, um mehr über seine Familiengeschichte zu erfahren.
    Das Reisebuch des Fabius Lorenz Schreiber, verfasst
    anlässlich seiner denkwürdigen Reise nach Oberitalien im

Jahre 1805
    Drittes Kapitel – Enthüllungen
    Seltsam, aber ohne Riccardo und Maria Baldanello fühlte ich mich plötzlich sehr einsam zwischen all den Offizieren und hoch gestellten Persönlichkeiten aus Lucca und Umgebung, die im Palazzo der Fürstin Elisa Bonaparte zu dem großen Fest zusammengeströmt waren. Colonel Chenier, der Adjutant der Fürstin, hatte meinen vorgeblichen Dienstboten einen Platz in der großen Küche zugewiesen, wo man sich, wie er sagte, um ihr leibliches Wohl sorgen würde. Hatte ich mich in den wenigen Tagen schon so sehr an Marias Nähe gewöhnt, dass ihre Abwesenheit mir schmerzliche Gefühle verursachte? Auch jetzt, als Chenier mich einigen Herren und ihren in Seide gekleideten und mit glitzerndem Schmuck behängten Gemahlinnen und Töchtern vorstellte, verglich ich diese feinen Damen unwillkürlich mit dem einfachen Mädchen, und der Vergleich fiel nicht zu Marias Ungunsten aus, Umso mehr bedauerte ich, dass sie die Schwester eines skrupellosen Banditenführers war, die von seinen Untaten gewusst, sie geduldet und womöglich sogar unterstützt hatte. Immer wieder wurde ich zu meiner Rettung beglückwünscht, fragte man mich mit echter oder vorgetäuschter Sorge nach meinem Befinden und hörte ich Verwünschungen betreffs des »Banditenpacks«, das in der Umgebung Luccas sein Unwesen trieb. Die Schmähreden machten mir nur noch stärker bewusst, dass Maria eine Ausgestoßene war und in der ständigen Gefahr schwebte, am Galgen zu enden, wenn die Wahrheit über sie und ihren Bruder bekannt wurde.
    Der Gedanke veränderte meine Gefühle, und aus Bedauern wurde Angst.
    Wieder bemühte ich mich, unter den Menschen, die sich neugierig um mich scharten, jenen gewiss wohlbetuchten Herrn herauszufinden, dem ich meine Reise nach Oberitalien zu verdanken hatte. Doch niemand gab sich als mein Auftraggeber zu erkennen, und Enttäuschung machte sich in mir breit. Dann aber sagte ich mir, dass dieser geheimnisvolle Herr vielleicht nicht in aller Öffentlichkeit den Kontakt zu mir aufnehmen wolle, und ich beschloss, mich in Geduld zu üben. Wer einen derartigen Aufwand traf, um mich herzuholen, würde sich gewiss bald an mich wenden. Hauptmann Lenoir trat auf mich zu und fragte mich, wie mir die Parade gefallen habe. Als ich seine Soldaten und ihre Kameraden in höchsten Tönen lobte, brachte mir das ein Stirnrunzeln von Colonel Chenier ein. Zu Recht glaubte er nicht, dass ich die Parade in der schlechten Verfassung, in der er mich vorgefunden hatte, auch nur halbwegs hatte genießen können.
    Wie auf einen geheimen Wink hin wandte sich die allgemeine Aufmerksamkeit einer Dame zu, die in die Mitte des Festsaals trat. Es war die Fürstin Elisa, die eine besondere Attraktion ankündigte: ein Violinsolo, dargeboten von ihrem Gemahl. Der Beifall wollte nicht enden, als der Fürst neben seine Frau trat, sich höflich verneigte und dann sein Instrument in Position brachte. Glaubte ich erst, der Applaus entspringe bloßer Höflichkeit und dem Respekt vor der hohen Position des Künstlers, so musste ich meine Ansicht revidieren, sobald die ersten Töne erklangen. Bacchiochi war wirklich ein Künstler auf der Violine, und so bemerkte Lenoir dann auch höchst treffend:
    »Der Fürst versteht es, mit der Violine umzugehen wie mit sonst kaum etwas.«
    Ich glaubte, aus Lenoirs Worten einen versteckten Hintersinn herauszuhören, und blickte ihn forschend an. Wollte der Hauptmann damit andeuten, dass die Fähigkeiten seines Oberkommandierenden auf dem Gebiet der Musik bei weitem höher lagen als im militärischen Bereich? Das hätte zu dem gepasst, was Riccardo mir über Bacchiochi erzählt hatte. Aber Lenoir sah unschuldig drein, lauschte offenbar ergeben den melodischen Klängen der Violine und schien wenig geneigt, seiner Äußerung weitere Erklärungen hinzuzufügen. Vielleicht lag das auch an der Anwesenheit Colonel

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