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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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schwächeren Völkern die Richtung weist«, sagte Chenier, und Pathos schwang in seiner Stimme mit. »Im Altertum waren das die Römer, heute sind es die Franzosen.«
    »Wenn Sie es sagen«, brummte ich nur, da ich wenig Lust verspürte, eine Lobpreisung auf die französischen Eroberungen anzustimmen. Gewiss, ich hatte mich Napoleon Bonapartes Zug nach Ägypten freiwillig angeschlossen, wenn auch nicht als Soldat. Aber was ich dort an Not und Elend gesehen hatte, sowohl bei den im Feld verwundeten Soldaten als auch bei der unter dem Krieg leidenden Zivilbevölkerung, hatte mich von jedweder Verblendung bezüglich militärischen Ruhmes geheilt.
    Ich wandte mich wieder der Fürstin zu und wiederholte meine Frage, weshalb ich so wichtig für ihr Fürstentum sei.

    »Weil Sie für mich eine alte Etruskersiedlung aufspüren sollen, ein Heiligtum dieses Volkes. Die Einheimischen hier munkeln, die Stadt sei bei einem Erdrutsch verschüttet worden.
    Wenn das stimmt, müssen dort gut erhaltene Zeugnisse der etruskischen Kultur zuhauf anzutreffen sein. Finden Sie diesen Ort für mich, Monsieur Schreiber, und Sie werden ein gemachter Mann sein!«
    »Was liegt Ihnen an diesem geheimnisvollen Ort, Hoheit?«
    Elisa drehte sich zu der einzigen Wand des Zimmers um die nicht von Bücherschränken oder Fenstern eingenommen wurde.
    Dort hing ein Gemälde, das mich sehr an einen weit verbreiteten Kupferstich erinnerte: Der junge Bürger General Bonaparte stürmt, in einer Hand einen Degen und in der anderen eine wehende Fahne, seinen Truppen bei der Schlacht von Arcole voran.
    »Mein Bruder hat nicht gerade ein großes Reich unter meine Regentschaft gestellt. Erst war es nur das winzige Piombino. Als er sah, dass ich meine Sache dort gut machte, gab er mir Lucca hinzu. Aber auch das ist ein kleiner Staat. Nur zu gut kenne ich die Witze, die man sich in den Salons Europas über mein Reich erzählt. Man benötige ein Vergrößerungsglas, um es auf der Landkarte zu finden, und wenn ich einen Schritt in die falsche Richtung machte, hätte ich schon die Grenze eines anderen Landes überschritten. Doch ich bin fest entschlossen, mehr aus Piombino und Lucca zu machen. Ich habe erfahrene Verwaltungsbeamte ins Land geholt, Ingenieure und Fachleuchte für das Agrarwesen. Die Eisen- und Bleigruben von Piombino, die vollkommen heruntergekommen und verlassen waren, arbeiten bereits wieder. Ich habe den Marmorbrüchen von Carrara neue Aufträge verschafft und lasse heruntergewirtschaftete Fabriken renovieren. Dichter, Musiker, Bildhauer und Maler rufe ich an meinen Hof, damit hierzulande nicht nur die Wirtschaft floriert, sondern auch die schönen Künste blühen. Und Sie, Monsieur Schreiber, sollen meinem kleinen Land zu einer exquisiten Sammlung etruskischer Fundstücke verhelfen.«
    »Sie meinen den Aufbau eines Museums, Hoheit?«
    Elisa nickte. »Ich hoffe, Sie werden den Posten eines Direktors nicht abschlagen, wenn es so weit ist.«
    »Das ist sicherlich eine reizvolle Aufgabe, aber ich verstehe das alles noch nicht ganz.«
    »Was verstehen Sie nicht?«
    »Den Aufwand, den Sie betrieben haben, Hoheit. Warum die ganze Heimlichtuerei?«
    »Wegen meines Bruders. Ihre Heimat gehört zu seinem Reich, und er soll nicht erfahren, was ich plane. Erst wenn wir das etruskische Heiligtum gefunden haben, will ich Napoleon einweihen. Es soll eine Überraschung für ihn sein. Ich weiß, wie sehr ihn die Geschichte Europas interessiert, der Ursprung unserer Zivilisation. Wenn wir ihm eine prächtige Sammlung von Fundstücken und neue Erkenntnisse über das Volk der Etrusker präsentieren, wird er mir … wird er uns sicherlich sehr verbunden sein. Was sagen Sie, Monsieur Schreiber, wollen Sie mir dabei helfen?«
    Angesichts der Tatsache, dass die Fürstin mich von meinen exorbitanten finanziellen Verbindlichkeiten befreit hatte, besaß ich wohl kaum eine echte Wahl. Außerdem reizte mich die Aufgabe, mehr über das geheimnisvolle Volk der Etrusker in Erfahrung zu bringen. Und, ich muss es gestehen, ich dachte auch an den enormen wissenschaftlichen Ruhm, den ich im Erfolgsfalle erwerben würde. Also trat ich ein zweites Mal in meinem Leben in die Dienste der Familie Bonaparte, nicht ahnend, dass mein italienisches Abenteuer nicht weniger aufregend und beschwerlich verlaufen sollte als meine Reise nach Ägypten.
    Wir kehrten zu den Feiernden zurück, und ich verbrachte ein paar unbeschwerte Stunden bei Musik, Gesang, Tanz und einem wahrhaft fürstlichen Mahl.

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