Engelsfluch
Cheniers. Der Colonel gab mir unvermittelt ein Zeichen und bedeutete mir, ihm zu folgen. Ich wandte mich zum Gehen und bemerkte, dass Lenoir uns einen neugierigen Blick nachsandte. Die meisten Gäste allerdings schenkten dem Künstler ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und bemerkten nicht, dass wir uns entfernten.
Durch einen kurzen Gang gelangten wir in einen Raum, den man wohl am treffendsten als Studierzimmer bezeichnen konnte. Zwei Wände nahmen Bücherschränke ein, und auf einem großen Tisch lagen zwei oder drei Landkarten übereinander. Unruhe erfasste mich, als wir den Raum betraten.
Sollte ich hier endlich den Mann kennen lernen, der meine Schulden beglichen und meine Reise finanziert hatte? Aber durch eine kleine Seitentür betrat das Zimmer kein Mann, sondern eine Frau: die Dame des Hauses. Die Fürstin von Piombino und Lucca begrüßte mich mit einem Lächeln, hieß mich in Lucca willkommen und beglückwünschte mich zu meiner Rettung. Wieder zogen mich ihre großen Augen in den Bann, deren Blick jetzt auf mir ruhte, mit einer gewissen Erwartung, wie mir schien. »Mein Bruder hat oft von Ihrem großen Wissen und Ihren außerordentlichen Fähigkeiten erzählt«, fuhr sie fort.
»General Bona …«, begann ich, räusperte mich dann, und sagte: »Entschuldigung, Hoheit sprechen von Seiner Majestät, dem Kaiser?«
Elisa lachte amüsiert. »Ja, Sie kennen ihn noch als Bürger General Bonaparte. Er sagte einmal zu mir, ohne Männer wie Sie, Monsieur Schreiber, wäre die Expedition nach Ägypten nicht mehr als ein militärisches Abenteuer gewesen. Sie und Ihre Kollegen aber hätten durch Ihre Studien und Funde bleibende Werte für die zivilisierte Menschheit geschaffen.«
»Ich wusste nicht, dass Seine Majestät eine so hohe Meinung von mir hat«, sagte ich, angesichts des überschwänglichen Lobes etwas verlegen.
»Die hat er. Er zeigte sich sehr beeindruckt von der Art und Weise, wie Sie mit ihm im Institut von Ägypten diskutiert haben. Er sagte, Sie hätten ihm gegenüber ein sehr offenes Wort geführt und manches Mal, wenn auch nicht immer, Recht behalten.« Bei der letzten Bemerkung lachte die Fürstin erneut, und das stand ihr ganz ausgezeichnet, weil es ihrem Gesicht Ernst und Strenge nahm und es viel weiblicher erscheinen ließ.
Wieder tauchten Erinnerungen an Ägypten vor meinem geistigen Auge auf. Aber diesmal war es nicht die Wüste mit ihrer gnadenlosen Hitze und ihrer Monotonie, die urplötzlich mit tausenderlei tödlichen Gefahren aufwarten konnte. Ich sah mich in Kairo, umgeben von den Düften und Farben des Orients, die unsere europäischen Sinne so sehr zu reizen verstehen. Hier hatte Bonaparte das Institut von Ägypten errichtet, dem er selbst als Vizepräsident angehörte. Dass er nicht nur an militärischen Eroberungen interessiert war, sondern auch an kulturellem und historischem Gewinn, hatte er bereits bewiesen, als er zahlreiche Wissenschaftler, Forscher und Künstler mit auf sein großes Orientabenteuer nahm. Damals, im Jahre 1798, hielt ich mich meiner wissenschaftlichen Studien wegen in Paris auf, und kurzerhand packte ich die einmalige Gelegenheit beim Schopf, auf Kosten des französischen Staates Ägypten zu bereisen. Dort angekommen, förderte Bonaparte Künste und Wissenschaften durch die Gründung des Instituts. Sooft er konnte, nahm er persönlich an den Sitzungen teil, nicht als Kopf der französischen Ägyptenarmee, sondern als Gleicher unter Gleichen, der viele hilfreiche Anregungen gab, sich aber auch berechtigter Kritik stellte. Tatsächlich hatte ich mit ihm das eine oder andere Thema diskutiert, aber ich hatte geglaubt, dass er mich längst vergessen hatte. Zwischen damals und heute lagen der Sturz des französischen Direktoriums und Bonapartes Einzug in die Tuilerien, die Schlacht von Marengo und der Frieden von Luneville und schließlich die Kaiserkrone, die Napoleon sich selbst aufs Haupt gesetzt hatte.
»Mein Bruder lobte Ihre großen Kenntnisse der Antike«, fuhr die Fürstin fort. »Vielleicht können Sie mir helfen, diese Fundstücke einzuordnen.«
Während sie noch sprach, nahm Chenier ein paar in Tücher gehüllte Gegenstände aus einer großen Truhe, legte sie vorsichtig auf den Kartentisch und schlug den Stoff zur Seite.
Vor mir lagen beschädigte Vasen und Krüge, zum Teil nur noch in Bruchstücken erhalten, aber alle mit interessanten Verzierungen versehen. Mein Forscherdrang erwachte, ich nahm die Stücke eins nach dem anderen in die Hand und trat, um
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