Engelsfluch
Als draußen das Dämmerlicht schwand und sich die Reihen der Gäste zusehends lichteten, wollte auch ich mich verabschieden. Aber Colonel Chenier, der sich, wie mir jetzt auffiel, immer in meiner Nähe aufgehalten hatte, wollte davon nichts wissen. »Ihre Hoheit will Sie noch einmal sprechen und erwartet Sie bereits, Monsieur Schreiber.«
»Aber es ist schon spät. Meine Diener werden sich um mich sorgen, wenn ich nicht bald komme.«
»Das soll Sie nicht kümmern, Monsieur. Man hat den beiden bereits Zimmer im Dienstbotentrakt dieses Hauses angewiesen.
Auch für Sie ist ein Gästezimmer hergerichtet. Es ist also für alles gesorgt. Wenn Sie mich jetzt zu Ihrer Hoheit begleiten würden!«
Das war keine Frage, sondern ein Befehl. Chenier führte mich in das bereits bekannte Studierzimmer, trat aber nicht mit mir ein, sondern schloss hinter mir die Tür. Elisa Bonaparte stand an einem Fenster und starrte hinaus in den von zahlreichen Laternen erhellten Garten. Ohne sich zu mir umzudrehen, sagte sie: »Jetzt kehren die braven Bürger zurück nach Hause und erzählen ihren Lieben von Soldaten und Banditen und von dem Deutschen, der in ihrer Stadt ein neues Museum errichten soll.
Ich habe übrigens nicht erwähnt, dass Sie speziell nach dem alten etruskischen Heiligtum suchen sollen. Ich will keine Grabräuber anlocken. Bitte bewahren auch Sie strengstes Stillschweigen über die Angelegenheit! Wollen Sie mir das versprechen?«
»Sehr gern, Hoheit.«
Jetzt erst drehte sie sich zu mir um, und auf ihrem Gesicht lag wieder dieses Lächeln, das aus der eher maskulinen Herrscherin eine Frau machte. »Wenn wir unter uns sind, sagen Sie einfach Elisa zu mir, das ist bequemer!«
Ich nickte und sagte zögernd: »Danke … Elisa.«
»Ich habe Ihnen zu danken, Fabius. Hinter Ihnen liegt eine lange, anstrengende Reise. Hinzu kommen die Ungewissheit über Ihr Ziel und das ungeplante Abenteuer mit den Banditen.
Und doch haben Sie sich kein einziges Mal beklagt.«
»Es steht mir nicht an, mich zu beklagen, Hoh… –
Verzeihung, Elisa. Sie haben sich meine Anwesenheit hier einiges kosten lassen und mich aus einer Verlegenheit befreit, die nur zu rasch zu einem Ende im Schuldturm hätte führen können.«
»Aber nicht Sie haben diese Schulden angehäuft, sondern Ihr Vater, der sich mit seinem Geschäft finanziell übernommen hatte.«
»Das war den Banken egal, für sie waren es die Schulden der Familie Schreiber. Und nach dem Tod meines Vaters waren es meine Schulden. Sie haben mir wirklich sehr geholfen, Elisa!«
Sie trat auf mich zu und nahm meine Hände in die ihren.
»Wir beide können einander helfen, Fabius, und wir haben vieles gemeinsam. Sie und ich sind fremd in diesem Land, einsam, und deshalb sollten wir einander beistehen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie einsam sind. Heute habe ich erlebt, wie das Volk Ihnen zugejubelt hat.«
»Der Jubel galt nicht der Frau, sondern der Fürstin. Und täuschen Sie sich nicht: Nicht zu jeder jubelnden Stimme gehörte auch ein jubilierendes Herz. Wie viel Berechnung, wie viel Opportunismus mag in dem Jubel gelegen haben? Vielleicht mehr, als mir lieb sein kann. Als ich nach Italien kam, hat kaum einer gejubelt. Ich war für die Menschen hier nur die Schwester eines Kaisers, der das Land mit Gewalt unterworfen hatte und der es seiner Schwester nun gleichsam als Brosamen vorwarf.
Die Einstellung der Menschen änderte sich, als sie sahen, was ich alles für sie tat. Aber ich bin dennoch eine Fremde für sie, und vielleicht würde keiner von ihnen mehr jubeln wenn Napoleon, was Gott verhüten möge, eines Tages seine Macht verliert.«
»Danach sieht es nun wirklich nicht aus. Er hat sich einen Platz an der Spitze der europäischen Monarchen erobert.«
»Aber er hat viele Feinde – und ich auch. Und wenn man von Feinden umringt ist, sollte man wenigstens ein paar gute Freunde haben, denen man vertrauen kann.«
»Die haben Sie sicherlich, Elisa. Colonel Chenier scheint Ihnen sehr ergeben, und dann ist da natürlich Ihr Gemahl, der Fürst.«
Elisas Blick verdüsterte sich. »Ja, dem Titel nach ist er der Fürst von Piombino und Lucca, und dem Gesetz nach ist er mein Gemahl. Aber ich würde ihn nicht als meinen Mann, nicht einmal als meinen Freund bezeichnen. Es gab einmal eine Zeit, da fühlten wir so etwas wie gegenseitige Zuneigung. Ich redete mir ein, dass der hübsche Hauptmann genau der Richtige für mich sei, weil ich als älteste von drei Schwestern noch
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