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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Handy, als die Ärztin mitten im Satz verstummte.
    »Es besteht Grund zu der Annahme, dass sie den heutigen Tag nicht überleben wird.« Die Ärztin legte eine kurze Pause ein, und Enrico spürte, wie unwohl ihr bei diesem Telefonat war.
    »Es tut mir sehr Leid, Signor Schreiber.«
    »Können Sie denn nichts für Elena tun?«
    »Ich fürchte, nein.«
    »Ich komme sofort.«
    »Sie können nichts daran ändern.«
    »Ich komme!«, wiederholte Enrico und beendete das Telefonat ohne eine Verabschiedung.
    Fünf Minuten später saß er, hastig angekleidet und unrasiert, in seinem Mietwagen und fuhr die Straße, die zwischen Bergen und Fluss in mehreren Windungen in die Stadt hineinführte, in halsbrecherischem Tempo entlang. Die Ampel an der Brücke nahm er bei Rot, und vor dem Krankenhaus schnappte er einer schimpfenden Matrone den letzten Parkplatz weg. Riccarda Addessi stand im Eingangsbereich der Intensivstation, als hätte sie hier auf ihn gewartet. Sie sprach Enrico ihr Bedauern in einer Art aus, als sei Elena bereits tot. Das schockierte ihn am meisten.
    »Darf ich sie sehen?«
    »Sie hat ihr Bewusstsein nicht wiedererlangt.«
    »Trotzdem … bitte!«

    »Sie kennen den Anblick bereits«, sagte die Ärztin schulterzuckend. »Aber wenn Sie unbedingt möchten!«
    Sie führte ihn in das Zimmer, wo er Elena schon am Vortag gesehen hatte. Alles schien unverändert. Die medizinischen Apparate, Lebenserhaltungs- und Überwachungssysteme, blinkten und piepten eintönig vor sich hin. Elena lag noch immer da wie schlafend, und eine Art Schlaf war es wohl auch.
    »Ich kann nicht erkennen, dass es ihr schlechter geht«, sagte Enrico trotzig.
    Dr. Addessi zeigte auf die Monitore über Elenas Bett.
    »Würden Sie sich mit diesen Apparaten auskennen, könnten Sie es sehen. Wir halten die Patientin mit technischer Hilfe am Leben, aber in Wahrheit …«
    Sie verstummte und biss sich auf die Unterlippe. Enrico ahnte, was sie hatte sagen wollen: In Wahrheit lag dort vor ihm eine Tote!
    Bei dem Gedanken brach ihm der Schweiß aus. Mit ungelenken Worten bedankte er sich bei Dr. Addessi und verließ das Krankenhaus. Er fühlte sich wie in Watte gepackt, nahm seine Umwelt nur undeutlich war. Er musste immerzu an Elena denken. An die fröhliche, lebenslustige Elena, die er für kurze Zeit gekannt hatte. Und an die reglose, fast leblose Elena, die in ihrem Bett auf der Intensivstation darauf wartete, dass die Apparate ihren Tod verkündeten und abgeschaltet wurden. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Hilflos blieb er auf dem Vorplatz des Krankenhauses stehen, und sein Blick fiel auf die Kirche San Francesco. Er dachte an seine gestrige Begegnung mit Kardinal Ferrio und hörte wieder die Worte, die der Geistliche zu ihm gesprochen hatte: »Das Gebet hilft in der Not, uns selbst genauso wie denen, für die wir beten. Gott hört uns zu, wenn wir zu Ihm sprechen, auch wenn es kein äußeres Zeichen gibt, an dem wir das erkennen. Wir wissen einfach, dass Gott bei uns ist und uns zur Seite steht. Das ist das Wunderbare an unserem Glauben.«
    Unsicher steuerte Enrico auf die Kirche zu, öffnete das schwere Portal und bekreuzigte sich mit dem geweihten Wasser.
    Heute war er nicht allein. Zwei Frauen und ein alter Mann beteten in aller Stille. Enrico zündete eine Kerze für Elena an und zog sich zum Gebet in eine der hinteren Bankreihen zurück.
    War es fair, ausgerechnet in einem ausweglosen Moment zu Gott zu beten? Aber wenn nicht in einem Moment wie diesem wann dann? Er dachte an Elena und an seinen Wunsch, wieder in ihre grünen Augen zu sehen und ihr Lachen zu hören. Musste er Gott im Gegenzug etwas anbieten, um den Pakt zu besiegeln?
    Aber was? Er betrachtete das Bildnis des heiligen Franz von Assisi mit den Wundmalen und fragte sich, ob das Empfangen solcher Male großen Schmerz bereitete. Und wenn, er wäre bereit gewesen, den größten Schmerz auf sich zu nehmen, um Elena zu helfen.
    Als er die Kirche verließ, nahm er nur unterschwellig wahr, dass es nicht mehr regnete. Langsam ging er in Richtung Krankenhaus und sah, dass neben seinem Mietwagen ein Streifenwagen auf dem Parkplatz stand. Zwei Männer erwarteten ihn bei den Fahrzeugen, Commissario Massi und Ezzo Pisano. Letzterer streckte Enrico die knochige Hand entgegen und sagte leise: »Signor Schreiber, ich bin gekommen, um Ihnen mein Beileid auszudrücken.«
    Enrico fühlte sich, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. Er wandte den Kopf zur Kirche um und dachte

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