Engelsfluch
»Selbst wenn ich Sie zu ihm bringe, ich weiß nicht, ob Angelo der Signorina überhaupt helfen will.«
»Das werden wir ihn schon selbst fragen«, beschied Commissario Massi.
Rom, Vatikan
Alexander stellte seinen Peugeot auf dem Parkplatz vor dem Gouverneurspalast ab, in dem die Verwaltung des Vatikans ihren Sitz hatte. Leichter Nieselregen empfing ihn, als er ausstieg und tief durchatmete. Er wusste, dass ihm kein leichter Gang bevorstand. Die Besuche bei seinem Vater waren vielleicht für beide eine Belastung. Vor drei Monaten war Alexander so weit gewesen, seinen Vater zu verleugnen, sich ganz und gar von ihm loszusagen. Aber wie hieß es doch: Blut ist dicker als Wasser. Mochte Markus Rosin als General des Ordens Totus Tuus auch die größten Untaten auf sich geladen und Menschenleben auf dem Gewissen haben, er war und blieb Alexanders Vater. Deshalb hatte Alexander in der Vergangenheit das Gespräch mit ihm gesucht. Er würde seinem Vater wohl nie verzeihen können, was er getan hatte, aber er wollte ihn wenigstens verstehen. Heute gab es noch einen anderen Grund, ihn aufzusuchen, und Alexander war sich nicht sicher, wie sein Vater darauf reagieren würde.
An der Kirche Santo Stefano vorbei ging er zum vatikanischen Bahnhof und trat zur stählernen Eingangstür jenes modernen Vorbaus, der durch mehrere Überwachungskameras gesichert war. Er drückte auf den großen Klingelknopf und sagte seinen Namen in die Gegensprechanlage. »Don Luu hat mich angekündigt.«
Ein tiefes Summen ertönte. Alexander drückte die Tür auf und betrat den Wachraum, wo zwei Vigilanza-Männer seinen Ausweis kontrollierten und ihn nach versteckten Waffen durchsuchten. Sie ließen ihn fünf Minuten warten, bevor sie ihn in den Besucherraum führten. In der Mitte des Raums saß Markus Rosin steif an einem großen Tisch, die Hände auf die Tischplatte gelegt, als würde er sich daran festhalten. Die Sonnenbrille, die seine leeren Augenhöhlen verbarg, wirkte in dem fensterlosen, von Neonröhren in gelbliches Licht getauchten Raum deplaziert. Noch heute erinnerte Alexander sich mit Schaudern an die blutige Auseinandersetzung mit Markus Rosin und den Verschwörern in den geheimen Gängen unterhalb des Vatikans. Eine alte Frau, die man Katzennärrin nannte, hatte Alexander und seinen Leuten den Weg ins unterirdische Labyrinth gezeigt. Sie war angeschossen worden, und einer ihrer Kater hatte dem Ordensgeneral von Totus Tuus dafür die Augen ausgekratzt.
Ein Gendarm blieb als Wache im Besucherraum zurück und tat so, als interessierten ihn der Gefangene und sein Besucher nicht. Alexander setzte sich auf den Besucherstuhl seinem Vater gegenüber.
»Alexander?«, fragte Markus Rosin.
»Ja. Guten Morgen, Vater. Hat man dir gesagt, dass ich der Besucher bin? Oder hast du mich an den Schritten erkannt?«
»Weder noch. Wer sonst sollte mich hier besuchen?«
»Ich weiß nicht. Alte Freunde vielleicht?«
»Machst du Witze? Glaubst du, die kommen in die Höhle des Löwen, ins neue vatikanische Gefängnis?«
»Aber es gibt sie noch, deine alten Freunde«, schlussfolgerte Alexander. »Obwohl Papst Custos den Orden für aufgelöst erklärt hat, existiert er insgeheim weiter. Oder?«
»Wenn Menschen von einer Sache überzeugt sind, so sehr, dass sie ihr sogar ihr Leben weihen, lassen sie sich nicht durch die Auflösungsverfügung eines falschen Papstes davon abbringen.«
»Custos ist der rechtmäßige Papst.«
»Das muss sich erst noch erweisen, jetzt, wo es einen zweiten Papst gibt«, sagte Markus Rosin, und in seinen Worten schwang Genugtuung mit.
»Du bist gut informiert.«
»Ich darf hier Radio hören, und das tue ich ausgiebig.«
Markus Rosin tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Sonnenbrille, »Was sonst bleibt mir übrig?«
»Ich weiß, dass du gegen die Reformen des Papstes bist und vor allem auch gegen den Papst selbst, der diese Reformen durchführen will«, seufzte Alexander. »Hast du noch Kontakt zu deinen Gesinnungsgenossen?«
»Du meinst meine Mitbrüder und -schwestern?«
»Nenn sie, wie du willst.«
»Wie sollte ich zu ihnen Kontakt haben? Sollte ich etwa geheime Nachrichten lesen, die sie mir in die Zelle schmuggeln?«
Markus Rosin ließ ein kurzes, freudloses Auflachen hören.
»Abgefasst in Blindenschrift?«
»Es gibt immer Mittel und Wege«, sagte Alexander bewusst vieldeutig.
Ein skeptischer Zug legte sich um die Lippen seines Vaters.
»Was soll das werden, Alexander, ein Verhör?«
»Ich möchte dich um
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