Engelsfluch
deine Hilfe bitten, Vater.«
»Da bin ich aber gespannt.« Wäre es nicht unmöglich gewesen, hätte Alexander geschworen, dass sein Vater ihn neugierig ansah.
»Wenn du fleißig Radio hörst, hast du sicher auch von den beiden Priestermorden in Rom und Ariccia gehört.«
»Ja. Und?«
»Was weißt du darüber?«
»Vermutlich weniger als du. Du kannst im Gegensatz zu mir Zeitung lesen.«
»Sind vielleicht die übrig gebliebenen Mitglieder von Totus Tuus in die Sache verwickelt?«
Die Finger von Markus Rosins rechter Hand vollführten auf der Tischplatte einen Trommelwirbel. »Langsam begreife ich Alexander. Das also führt dich zu mir! Und ich hatte schon gedacht, es seien die Blutsbande.«
»Willst du mich verletzen? Ich habe in der Vergangenheit wohl bewiesen, dass du mir nicht gleichgültig bist. Aber heute habe ich tatsächlich ein Anliegen. Wenn du irgendetwas über die Priestermorde weißt, sag es mir bitte! Vielleicht hilft es, weitere Todesfälle zu verhüten.«
»Hältst du mich für einen Verräter?«, fragte Markus Rosin vorwurfsvoll.
»Ich hatte nicht gedacht, dass du so stur bist«, erwiderte Alexander enttäuscht. »Ich hatte gehofft, die Ereignisse im Mai und der Verlust deines Augenlichts hätten dich nachdenklich gemacht, dich vielleicht sogar zur Umkehr bewogen. Aber da habe ich mich wohl getäuscht.«
»Das hast du allerdings! Ihr raubt mir das Augenlicht, sperrt mich hier ein, vielleicht für den Rest meines Lebens, und erwartet dann von mir, dass ich euch helfe?«
Die Bitterkeit in Markus Rosins Stimme schlug in Zorn um, und laut stieß er hervor: »Geh, Alexander, verschwinde!«
»Nicht meine Gefährten und ich haben dir das Augenlicht geraubt, sondern die Katzen, die dich anfielen. Doch es stimmt, wir beide haben auf unterschiedlichen Seiten gestanden und uns bekämpft. Damals habe ich dich verabscheut, Vater, dich für das, was du getan hast, vielleicht sogar gehasst. Aber dann habe ich nachgedacht und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass du getan hast, was aus deiner Sicht richtig war. Deine Sichtweise halte ich weiterhin für falsch, aber ich versuche zumindest, dein Handeln zu verstehen. Ich hätte mir gewünscht, auch du würdest in dich gehen, zumindest deine Taten bereuen, auch wenn du deiner Einstellung treu bleibst. Aber ich glaube, du hast die ganze Zeit über nur an dich gedacht, um dich selbst geweint und dich dahin geflüchtet, anderen die Schuld an deinem Schicksal zu geben. Du solltest mir Leid tun, Vater, aber ich glaube, das wäre eine Verschwendung von Gefühlen.«
Alexander stand auf und verließ den Besucherraum ohne ein weiteres Wort. Er hatte kaum damit rechnen können, von seinem Vater einen Hinweis auf die Priestermörder zu erhalten. Es war nur ein vager Verdacht gewesen, dass die Überreste des Ordens Totus Tuus in die Sache verwickelt waren. Alexander wollte nichts unversucht lassen und hatte deshalb seinen Vater aufgesucht. Nicht die Tatsache, dass er keinen Hinweis erhalten hatte, enttäuschte ihn, sondern die strikte Weigerung Markus Rosins, auch nur ein einziges Mal die Dinge aus der Perspektive jener Menschen zu sehen, die er für seine Feinde hielt. Er musste sie alle abgrundtief hassen. Alexander fragte sich, ob sich dieser Hass auch auf seinen Sohn erstreckte.
Nördliche Toskana,
Nahe Borgo San Pietro
Sie hatten den Streifenwagen auf einer kleinen Lichtung abgestellt und schlugen sich, angeführt von Ezzo Pisano, durchs dichter werdende Unterholz. Dornenranken verhakten sich in Enricos Hose, und Zweige peitschten ihm als Strafe für jede Unachtsamkeit ins Gesicht. In ihm wurden unangenehme Erinnerungen an seine Flucht mit Elena vor den aufgebrachten Dorfbewohnern wach. Längst hatte er jede Orientierung verloren, und Fulvio Massi erging es wohl kaum besser. Pisano aber schien auch in dem größten Dickicht noch einen Weg zu erkennen, so zielsicher ging er voran. Hin und wieder schlug er mit einem Stock, den er unterwegs aufgelesen hatte, ein widerspenstiges Gestrüpp zur Seite. Trotz seines Alters bewegte er sich erstaunlich behände. Er war hier zu Hause und hatte die Wälder rings um Borgo San Pietro wohl schon seit frühester Kindheit erforscht. Den schlammigen Pfützen, die der Regen hinterlassen hatte, wich er mit geschickten kleinen Sprüngen aus, wogegen sowohl Enrico als auch Massi sich längst schmutzige, nasse Schuhe eingefangen hatten.
»Kaum zu glauben, dass jemand in dieser Abgeschiedenheit sein Haus gebaut hat«, brummte der
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