Engelsfuerst
zur Freilegung des Tempels, die aufwendigen Maßnahmen zur
Geheimhaltung, das alles hat Geld gekostet, viel Geld.
Über eine Million Euro ist allein für das verlassene
Bergkloster draufgegangen, das wir erstanden haben,
um einen offiziellen Stützpunkt in dieser Gegend zu
haben.«
Tommasio legte beschwichtigend eine Hand auf
Pallottinos Schulter. »Reden wir nicht mehr davon,
mein Sohn. Das alles wird belanglos, wenn Luzifer
erst seine rechtmäßige Herrschaft über die Menschen
angetreten hat. Dann zählen seine Gesetze, und wir
werden ihre Vollstrecker sein.«
»So ist das also«, sagte Lucius. »Ihr handelt gar
nicht so uneigennützig, wie ihr tut. Nicht die Verbreitung dessen, was ihr in völliger Verdrehung der
Wahrheit als Gottes wahren Willen bezeichnet, ist euer Ziel. Ihr selbst wollt euch zu Herrschern über die
Menschen aufschwingen!«
Tommasio sah Lucius geringschätzig, fast mitleidig
an. »Du denkst in den kleinlichen Kategorien der
Menschen. Auch ich habe einst so gedacht, als ich
noch jung war und auf der Suche nach Ruhm und
Reichtum. Mein Vater war früh gestorben, und als
Halbwaise hatte ich es nicht leicht in dem kleinen sizilianischen Bergdorf, aus dem ich stamme. Aber eines
Tages kam ein Fremder in unseren Ort, ein Wanderer,
der bald wie ein Heiliger verehrt wurde, weil er über
die Gabe verfügte, Krankheiten zu heilen. Er bemühte
sich sehr um mich, und bald erfuhr ich, daß er nicht
zufällig in unsere Gegend gekommen war. Er hatte
lange nach mir gesucht, nach Luzifers Sohn. Auch er
war der Sohn eines gefallenen Engels, einer von Luzifers Gefährten, und er lehrte mich alles, was ich wissen mußte. Leider starb er viel zu früh. Aber ihm verdanke ich das Wissen darum, daß nicht die weltlichen
Güter zählen, sondern nur die himmlische Macht Luzifers.«
»Luzifers höllische Macht wäre angebrachter«, erwiderte Lucius unbeeindruckt. »Trotz all der schönen
Worte, die wir gerade gehört haben, haltet ihr, du und
dein Sohn, euch für Luzifers Vollstrecker und gedenkt, weltliche Macht auszuüben.«
»Fabio und ich sind die Nachfahren Luzifers. Wenn
er Macht über die Menschheit erlangt, ist seine Macht
selbstverständlich auch die unsrige. Wer sonst als wir
sollte dazu auserkoren sein, zwischen Engeln und
Menschen zu vermitteln? Auch ihr könnt daran teilhaben, du und dein Sohn. Noch habt ihr die Wahl,
noch könnt ihr auf die richtige Seite wechseln.«
Er gab einem der Ordensoffiziere einen Wink. Der
Mann ging zu einem kleinen Tisch, der an einer der
Felswände stand, und kehrte mit etwas zurück, das er
über seine ausgestreckten Arme gelegt hatte. Als er in
den Lichtschein einer Lampe trat, erkannte Enrico,
daß es zwei schwarze Gewänder waren, ähnlich denen, die Tommasio und sein Sohn angelegt hatten.
»Hüllt euch in unsere Gewänder, und schließt euch
unserem Glauben an!« forderte Tommasio. »Betet mit
uns zum wahren Herrscher der Welt!«
»Luzifer anbeten? Das ist grotesk!« empörte sich
Lucius. »Niemals werde ich mich darauf einlassen! Ich
trage bereits das passende Gewand, und ich trage es
mit Stolz und Respekt.«
»Für mich siehst du eher aus wie ein armer Sünder«, entgegnete Tommasio. »Sieh dich doch an, Heiliger Vater !«
Tatsächlich befand sich das Äußere von Lucius –
wie auch das von Enrico – nach der wilden Flucht
durch die Berge in einem beklagenswerten Zustand.
Das vormals weiße Papstgewand hatte einen fleckigen
Grauton angenommen und war an mehreren Stellen
eingerissen. Auf den braunen Schuhen, die sonst tadellos glänzten, lag eine dicke Schmutzschicht, und
die weiße Kopfbedeckung hatte Lucius irgendwo in
den Bergen verloren. Haupthaar und Gesicht waren
mit Blut und Dreck verkrustet. Nur das Kruzifix, das
an einer goldenen Kette vor seiner Brust hing, glänzte
wie immer und stand in einem seltsamen Kontrast zu
seiner ramponierten Erscheinung.
»Ich bin auch nur ein armer Sünder, wie alle Menschen es sind, abhängig von der Gnade Gottes«, sagte
Lucius ruhig. »Daß ich in diesem Wissen lebe und
handele, unterscheidet mich von dir, Sohn Luzifers.
Du hast von deinem Ahnherrn die Arroganz geerbt,
die ihn zum Widerstand gegen Gott verleitete und
letztlich zu seinem Sturz führte. Traurig, daß seine
Söhne in all den Jahrtausenden nichts dazugelernt haben.«
»Traurig sind allein dein Anblick und deine Einstellung«, entgegnete Tommasio brüsk und wandte sich
an Enrico. »Zeigst du mehr Einsicht als dein verbohrter
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