Engelsfuerst
dem, was aus der Tiefe aufstieg, hatte die
Kraft gefehlt, eine feste Form anzunehmen. Es hatte
sich gewehrt, die Erde hatte gebebt, und die steinernen Geflügelten waren beschädigt worden, aber dann
war das vorher so helle Leuchten erloschen, und die
Erde hatte Ruhe gegeben. Larths Anhänger waren so
verwirrt gewesen, daß sie Vel und Larthi nicht daran
gehindert hatten, den Tempel der Ahnen zu verlassen.
Diesmal war Luzifer schon einen Schritt weiter,
war im Begriff, Materie zu werden. Dazu benutzte er
die Kraft der vier Engelssöhne, saugte sie, wie ein
Vampir, in sich auf.
Enrico und Lucius hatten sich vorgenommen, die
Gefahr, die vom Tempel der Ahnen ausging, endgültig
zu bannen. Dazu mußten sie einen Schritt weitergehen
als Vel und Larthi, mußten den letzten Schritt wagen,
den ein Mensch tun kann.
Lärm aus dem Höhlengang lenkte alle ab, und einer
der Wächter schrie: »Wir werden angegriffen!«
Ein neuer Gedanke kam Enrico. War es vielleicht
nicht nötig, den letzten Schritt zu tun? Konnten
Tommasio und sein Sohn mit Hilfe derer, die da in
den Tempel eindrangen, vernichtet werden?
Er sah seinen Vater an und wußte, daß dies nicht
der richtige Weg war. Irgendwann, vielleicht in zwanzig, zweihundert oder zweitausend Jahren, würde
wieder ein Anhänger Luzifers an dieser Stelle stehen
und das Böse beschwören. Nein, es mußte zu Ende
gebracht werden, bevor sie zu schwach wurden. Sie
konnten nicht sicher sein, ob sich ihr Vorhaben verwirklichen ließ, aber sie mußten es versuchen!
Enrico erinnerte sich der Worte seines Vaters: Von
einem Kampf der Engelsfürsten ist die Rede und davon, daß sich der wahre Engelsfürst als Sieger erweisen
wird.
Es war an der Zeit, dem wahren Engelsfürsten,
Uriel, zum Sieg zu verhelfen!
Sein Vater und er nahmen einander bei der Hand
und konzentrierten sich mit aller Kraft auf die Nachfahren Luzifers. Sie selbst spürten ein starkes inneres
Brennen. Um wie viel stärker mußte es bei den beiden
Schwarzgewandeten sein? Zuerst fing Fabio Pallottino
Feuer, rasend schnell erfaßte es seinen ganzen Körper.
Enrico und Lucius sahen noch das Entsetzen auf
Tommasios Gesicht, dann stand auch der in Flammen.
Er breitete die Arme aus, als wolle er Luzifer um
Hilfe anflehen, und sah aus wie ein entflammtes
Kreuz. Sekunden später waren sein Sohn und er schon
verglüht, nur Asche war von ihnen übrig.
Das fratzenhafte Haupt inmitten des Engelsfeuers
öffnete sein Maul, und ein Schrei, wie ihn kein Wesen
von dieser Welt ausstoßen konnte, hallte durch den
Felsendom. Enrico spürte den unbändigen Zorn, der
seinem Vater und ihm entgegenschlug.
Er war schwach, sammelte aber noch einmal Kräfte,
als Lucius ihn in die Arme schloß. Vater und Sohn
blickten nicht zum Engelsfeuer, sondern zu dem Engel aus Stein, in dem sie Uriel zu erkennen glaubten,
den Engelsfürsten.
Sie riefen ihren Ahnherrn um Beistand an, während
sie sich selbst entzündeten. Das Feuer sprang auf das
gräßliche Wesen über, und Luzifer saugte nicht die
erhoffte Kraft von Vater und Sohn in sich auf, sondern deren Tod. Enrico spürte keinen Schmerz, sondern nur Zufriedenheit, als mit seinem Vater und ihm
auch der gefallene Engel erlosch.
5. Tag
Sonntag,
16. Oktober
E
PILOG
ROM
A
lexander saß neben Elenas Krankenbett in der Policlinico Umberto I. und verfolgte gemeinsam mit
ihr die Sondersendung zum Tod von Papst Lucius IV.
Die Untersuchung hatte ergeben, daß weder Elena noch
das Ungeborene bei den zurückliegenden Ereignissen
Schaden genommen hatte, und so waren Alexander und
sie zumindest in dieser Hinsicht beruhigt.
Die Fakten, die der TV-Reporter, der sich vor der
Kulisse der Peterskirche aufgestellt hatte, vermittelte,
waren größtenteils richtig, wenn auch unvollständig.
Der Heilige Stuhl und die italienische Regierung waren sich sehr schnell darüber einig geworden, daß nur
Bruchstücke der Wahrheit an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Eine Panik sollte ebenso vermieden
werden wie ein Ansturm Sensationshungriger auf den
Tempel der Ahnen.
»Noch immer sind die genauen Umstände, die zum
Tod von Papst Lucius geführt haben, nicht bekannt«,
verkündete der Reporter wahrheitsgemäß. »Wir wissen
nur, daß die Überreste des verbotenen Ordens Totus
Tuus den Heiligen Vater in ihre Gewalt gebracht und
in die umbrischen Berge verschleppt hatten. Dort ist
bei einer großangelegten Befreiungsaktion durch eine
Spezialeinheit der Carabinieri nicht nur der Anführer
des
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