Engelsfuerst
Ordens ums Leben gekommen, sondern auch Lucius IV. Die Carabinieri erlitten nur geringe Verluste.
Man spricht von einem Toten und sechs Verwundeten.
Hier stellt sich die Frage, ob die Carabinieri weniger
auf ihr eigenes Leben als auf das von Papst Lucius hätten achten sollen. Interessanterweise …«
Alexander schnappte sich die Fernbedienung und
stellte den Ton aus. »Eine infame Unterstellung, die
der Holzkopf da verbreitet. Ich habe gesehen, wie tapfer Prioletta, DelBene und ihre Männer gekämpft haben. Jederzeit hätten sie ihr Leben hingegeben, um
Lucius zu retten. Aber sie hatten keine Gelegenheit
dazu. Ich glaube …«
»Was?«
»Ich glaube, Lucius und Enrico sind freiwillig in
den Tod gegangen.«
Elena stützte sich auf den Ellbogen und richtete
sich ein Stück auf.
»Was hast du in der Höhle gesehen, Alexander? Du
hast es mir nicht erzählt.«
»Niemand darf es je erfahren.«
»Das gilt doch wohl nicht für mich!«
Er sah sie an und dachte daran, was sie alles im Zusammenhang mit Totus Tuus durchgemacht hatte,
nicht nur in den vergangenen Tagen, sondern fast ihr
Leben lang.
»Nein, für dich gilt das nicht. Aber du wirst enttäuscht sein, denn viel haben wir nicht gesehen. Es
ging alles so schnell, und es war so unglaublich, daß es
mir schon Augenblicke später wie ein Hirngespinst
vorkam. Am schlimmsten war vielleicht dieser Schrei,
der durch die Höhle hallte; das war eine gewaltige
Stimme, die nichts Menschliches an sich hatte.«
Er berichtete von dem Feuer, das aus dem Schlund
emporgezüngelt war, und von der unirdisch häßlichen
Gestalt, die sie darin gesehen hatten. Bei diesem Anblick war er wie festgewachsen stehengeblieben. Dann
erst hatte er Enrico und Lucius bemerkt und in
Flammen aufgehen sehen. Und seltsam, es hatte ausgesehen, als lächelten die beiden dabei. Augenblicklich
war das tanzende Feuer erloschen.
Dafür hatte die Erde gewackelt. Die Carabinieri
hatten nach draußen gedrängt, weil sie befürchten
mußten, in der Höhle verschüttet zu werden. Aber
nur die großen Steinengel waren zusammengestürzt
und ihre Trümmer in den Schlund gerollt, obwohl der
Boden im Felsendom gar nicht abschüssig war. Das
alles hatte keine halbe Minute gedauert, dann war Stille eingekehrt in die Höhle. Es war, als hätten die
Steinengel den Schlund mit ihren Leibern versiegelt.
Die Höhle und die ganze Umgegend waren derzeit
Sperrgebiet und würden es wohl auch auf unabsehbare Zeit bleiben. Wissenschaftler mehrerer Generationen würden dort, so vermutete Alexander, Material
für ihre Arbeit finden.
Elena sank in ihr Kissen zurück und drückte den
Pooh-Bären an sich, den Alexander ihr in Borgo del
Lago gegeben hatte. »Du hast recht, Alex, Enrico ist
freiwillig in den Tod gegangen, beide, sein Vater und
er. Das hatten sie schon beschlossen, als wir uns getrennt haben. Und sie haben es für uns alle getan.
Hoffen wir, daß durch ihr Opfer die gefallenen Engel
endgültig besiegt sind.«
»Zweifelst du daran?«
»Ich weiß nicht recht. Immerhin gab es die Theorie,
daß mehrere Orte existieren, die den verbannten Engeln als Kerker dienen. Allerdings haben Enrico und
sein Vater den Tempel der Ahnen für das Zentrum der
bösen Macht gehalten. Also besteht tatsächlich Hoffnung, daß nie mehr jemand versuchen kann, das Engelsfeuer zu entfachen.«
Auf dem Fernsehschirm erschien Papst Custos, und
Alexander stellte den Ton wieder an. Es wirkte fast
wie die allsonntägliche Routine, denn es war die Zeit
des Angelus, zu der die Päpste jeden Sonntag zum
gemeinsamen Gebet mit den Gläubigen auf einen Balkon des Apostolischen Palastes traten. Diesmal war
es, wie in früheren Zeiten, nur ein Papst, und er
sprach in warmen Worten von seinem verstorbenen
Amtsbruder.
»Viele Fragen werden jetzt an die Kirche gestellt«,
sagte Custos. »Ich gestehe freimütig, daß ich die Antworten selbst noch nicht weiß. Wird es, wie in den
vergangenen zwei Jahren, wieder zwei Päpste geben?
Einen, der stärker die traditionelle Seite der Kirche
vertritt, und einen, der sie mit frischen Gedanken weiter ins neue Jahrtausend hineinführt? Ich kann es
nicht sagen, weil ich nicht derjenige bin, der das zu
entscheiden hat. Ich werde die Kardinäle unserer heiligen Kirche zusammenrufen, damit sie darüber beschließen. Aber eins ist gewiß, meine Brüder und
Schwestern: Lucius IV. starb für seinen Glauben, für
Gott, für den Sieg des Guten, für uns alle. Deshalb
laßt uns für ihn
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