Engelsfuerst
Er wich Felsen,
Bäumen und Büschen aus, übersah aber eine bogenförmig aus dem Boden ragende Baumwurzel, die ihn
zu Fall brachte. Durch seinen linken Fuß schoß ein
stechender Schmerz. Den Sturz konnte Enrico mit der
rechten Schulter halbwegs abfangen, aber der Schmerz
im Fuß blieb, als steckten glühende Nadeln darin. Irgendwo hinter sich hörte er die Schritte seiner Verfolger, die sich hin und wieder durch kurze Rufe verständigten. Er sah sich um und stellte schnell fest, daß
er hier leicht entdeckt werden konnte. Das Gelände
war offen, gut einsehbar. Er mußte weiter!
Aber als er versuchte aufzustehen, verschärfte sich
das Stechen in seinem Fuß. Er biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien.
Er blickte sich nach Hilfe um und entdeckte in vier,
fünf Metern Entfernung einen krummen Ast. Enrico
kroch hinüber und erhob sich erneut, wobei er sich
auf den Ast stützte.
Der Schmerz war noch immer heftig, ließ sich aber
aushalten. So humpelte Enrico mit seiner Astkrücke
weiter den Berg hinab.
Das Gefälle wurde steiler, und er mußte bald erkennen, daß es mit dem verletzten Fuß so nicht weiterging. Er sah sich nach einem Versteck um und
konnte nichts Besseres finden als einen Felsvorsprung
etwa zwanzig Meter zur Rechten.
Mehr schlecht als recht schleppte er sich über den
geröllhaltigen Boden und drückte sich unter die überstehende Felsplatte, von der er nur hoffen konnte, daß
sie ihn vor den Blicken der Verfolger schützte.
Still lag er in seinem Versteck und horchte auf die
Schritte, die ihm mal näher zu kommen, mal sich zu
entfernen schienen. Unentwegt sah er den toten Maurizio vor sich und sagte sich, daß die Männer, die ihn
jagten, buchstäblich über Leichen gingen.
Nicht lange, und die Schritte wurden eindeutig lauter. Enrico sah ein Paar Füße, die in schweren Stiefeln
steckten, auf sich zukommen. Mehr konnte er aus seinem Versteck heraus nicht erkennen.
Er lag auf abschüssigem Grund und drohte jeden
Augenblick ins Freie zu rutschen, direkt vor die Augen des Mannes mit den Stiefeln. Als er versuchte, festeren Halt zu finden, löste sich ein Stein, nicht größer
als ein Taubenei, und kullerte den Abhang hinunter.
Das reichte, um die Aufmerksamkeit des anderen zu
wecken. Der Mann blieb stehen. Wahrscheinlich suchte er das Gelände jetzt Meter für Meter mit Blicken ab.
Schließlich setzte er sich wieder in Bewegung und
kam auf Enricos Versteck zu. Mit angehaltenem
Atem, die Muskeln zum Zerreißen gespannt, starrte
Enrico auf die näher kommenden Stiefel, die unterhalb der Knie in dunkle, grobe Hosenbeine übergingen.
Der Fremde kniete sich hin. Enrico bekam seine
Hände und die Mündung eines Kleinkalibergewehrs
zu sehen, die auf sein Versteck gerichtet war.
Jetzt oder nie!
Enrico schleuderte mit der linken Hand ein paar
kleine Steine nach draußen, um den Verfolger abzulenken. Fast gleichzeitig rollte er aus seinem Versteck,
mit der Rechten den Ast umklammernd, der ihm zuvor als Krücke gedient hatte. Sobald er unter dem
Felsvorsprung hervorgekommen war, hieb er dem anderen den Ast auf den Kopf.
Der wich zurück und zog den Abzug durch. Die
Kugel pfiff an Enrico vorbei und klatschte irgendwo
hinter ihm in einen Baumstamm.
Enrico hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt
und rollte, wie ein herrenloses Faß, den Abhang hinunter. Das war mit dem verletzten Fuß seine einzige
Möglichkeit, rasch voranzukommen. Das Ganze war
so schnell gegangen, daß er nicht einmal das Gesicht
seines Feindes gesehen hatte.
Der sprang auf und setzte ihm mit schnellen Sprüngen nach. Enrico rollte weiter über den rauhen Untergrund und riß sich Kleider und Haut auf, ohne es
recht wahrzunehmen. Das alles schien bedeutungslos
im Vergleich zu der Gefahr, die von dem Mann mit
dem Gewehr ausging.
Dann aber hatte er für einen Augenblick das Gefühl
zu schweben!
Er war über eine Klippe gerollt, stürzte, doch nur
ein kurzes Stück, schlug hart auf und rollte weiter, bis
dichtes Buschwerk ihn festhielt.
Bei dem Sturz war er mit dem Kopf gegen einen
Stein geschlagen. Er war benommen und hatte Mühe,
bei Bewußtsein zu bleiben. Die Büsche, Bäume und
Felsen um ihn her schienen merkwürdig konturlos,
weil vor seinen Augen alles zu verschwimmen drohte.
Er übergab sich. Danach fühlte er sich etwas besser,
und sein Blick wurde klarer. Aber was er sah, gefiel
ihm nicht.
Sein Verfolger, das Gewehr in beiden Händen, kam
halb laufend, halb rutschend den Abhang herunter,
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