Engelsfuerst
auf unsere Weise und handeln damit mehr
in seinem Sinne, als würden wir oberflächlich an den
Geboten kleben.«
»Das sind doch Ausflüchte! Welche Mission könnte
so etwas rechtfertigen?«
»Das wirst du erfahren, wenn es an der Zeit ist«,
erwiderte Giuseppe, der offenbar nicht gewillt war,
sich von Enricos Erregung anstecken zu lassen. Ein
Wink mit dem Revolver folgte. »In den Wald, los!
Gleich wird es hier richtig heiß.«
Widerstrebend leistete Enrico der Aufforderung
Folge. Giuseppe hielt sich, den Revolver immer in der
Hand, hinter ihm. Auf einer kleinen Lichtung blieben
sie stehen und warteten auf Ambrosio, der im Laufschritt zu ihnen stieß.
Noch bevor er die Lichtung ganz erreicht hatte, explodierte das Wrack mit einem solchen Knall, daß Enricos Trommelfelle schmerzten. Eine Hitzewelle erfaßte die drei Männer und nahm ihnen für ein paar
Sekunden den Atem.
Giuseppe blickte in Richtung des brennenden
Wracks, wechselte den Revolver in die Linke, machte
mit der Rechten das Kreuzzeichen und sagte leise:
»Herr, erbarme Dich dieser armen Seele!«
Auch Ambrosio schlug das Kreuz vor seiner Brust
und murmelte: »Amen!«
19
Rom
D
as Forum Romanum, an diesem frühen Morgen
noch nicht von Touristen überschwemmt, lag
ruhig unter dem wolkigen Himmel. Eingebettet in das
moderne Rom, wirkten die Überreste antiker Tempel
und Hallen zeitlich nur noch entrückter. Alexander
stand hinter einem der riesigen Fenster von Donatis
Penthouse und blickte auf den Platz hinab, wo
jahrhundertelang über die Geschicke Roms und damit
ganz Europas entschieden worden war. Vor seinem
geistigen Auge nahmen die Ruinen ihre ursprüngliche
Form an, und er sah römische Senatoren in ihren sauberen Togen aufrecht zwischen den marmornen Säulen wandeln und mit Gleichgesinnten – oder politischen Kontrahenten – wichtige Gespräche führen.
Rom war immer etwas Besonderes gewesen, über
die Jahrhunderte, die Jahrtausende hinweg. Vor zweitausend Jahren hatten die römischen Kaiser über das
geherrscht, was man die zivilisierte Welt nannte. Ihre
Macht und der Glanz des antiken Roms waren untergegangen, die bruchstückhaft erhaltenen Gebäude und
die umgestürzten Säulen auf dem Forum Romanum
legten ein nur unzureichendes Zeugnis der alten Herrlichkeit ab. Aber inmitten der Überreste der einstigen
weltlichen Macht hatte die katholische Kirche das
Zentrum ihrer geistlichen Macht errichtet, und so war
aus Rom wieder eine Hauptstadt der Welt geworden.
Alexander spürte die Kraft, die der Stadt innewohnte, und die vielen Geheimnisse, die sie barg. Und er
ahnte, daß eins dieser Geheimnisse einen dunklen
Schatten über Rom und seine Menschen warf, viel bedrohlicher als die Wolken, die sich über ihm zusammenballten.
Ein melodisches Läuten riß ihn aus seinen Betrachtungen, und Donati rief aus der Küche: »Ich presse
gerade die Orangen. Machst du bitte auf?«
»Ja«, antwortete Alexander, ging durch das große
Wohnzimmer in den Flur, öffnete per Tastendruck die
Haustür und zog die Wohnungstür auf.
Zwei Minuten später hielt der Lift an seiner obersten Station, um Elena und Laura Monicini zu entlassen.
Elena trug eine kurze schwarze Jacke, darunter ein
weißes Shirt und schwarze, mit modischem Lederbesatz versehene Jeans, die ihre schlanken Beine betonten. Vergebens suchte Alexander nach Anzeichen einer Schwangerschaft, aber dafür war es im dritten
Monat wohl zu früh. Elena war attraktiv wie eh und
je. Mit ihrem dezenten Make-up und in den frischen
Kleidern sah sie nicht so aus, als hätte sie noch zwei
Stunden zuvor auf der Krankenstation des Polizeipräsidiums gelegen, zumal sie den Kopfverband nicht
mehr trug. Erst als sie dicht vor ihm stand, bemerkte
Alexander ein Pflaster an ihrem Hinterkopf.
Laura Monicini, etwa fünfzehn Jahre älter als Elena,
war ebenfalls eine attraktive Erscheinung. Auch sie
trug ihr kupferfarbenes Haar kurz, und ihr eher längliches Gesicht hatte sich trotz einiger nicht mehr wegzuschminkender Falten seine Schönheit bewahrt. Vielleicht war sie etwas zu üppig, aber das kaschierte sie
geschickt durch einen gutsitzenden NadelstreifenGehrock.
Als Alexander die beiden begrüßte, trat Donati, die
Hemdsärmel noch hochgekrempelt, hinzu und bat sie
herein. Laura drückte ihm eine Tüte mit frischen
Hörnchen in die Hand und sah sich bewundernd in
dem geräumigen und stilvoll eingerichteten Penthouse
um. Am meisten beeindruckt zeigte sie sich von dem
Ausblick, den eben auch
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