Engelsfuerst
war.
Francesco sah ihn dankbar an. »Es bereitet mir
Freude, anderen zu helfen. Es ist das Schönste, was ich
mir vorstellen kann.«
»Warum bist du hier, in San Gervasio?«
Im Gesicht des Mönchs arbeitete es. Er schien
krampfhaft darüber nachzudenken, was er antworten
sollte.
»Ich darf darüber nicht sprechen«, sagte er schließlich.
»Wer hat es dir verboten? Etwa Vater Tommasio?«
An dem Schatten, der sich auf Francescos Gesicht
legte, erkannte Enrico, daß er ins Schwarze getroffen
hatte.
»Der Fuß muß ruhen«, sagte Francesco, als er mit
dem Verbinden fertig war. »Beweg ihn möglichst wenig.«
Enrico warf einen Blick auf das trostlose Mauerwerk. »Das wird mir hier nicht schwerfallen.«
Francesco verstaute das Verbandszeug und die Salbe in seinem Beutel, und dann sah er dem Gefangenen
in die Augen. In seinem Blick lag eine tiefe Traurigkeit, die Enrico sich nicht erklären konnte und die ihn
doch tief berührte.
»Es tut mir leid, daß ich dich nach San Gervasio gebracht habe, Enrico, das mußt du mir glauben!«
»Ich hätte mich eben von deiner Erzählung über
das Kloster nicht so beeindrucken lassen sollen, als
wir uns zufällig in Rom getroffen haben, aber ich
dachte …« Enrico verstummte, denn gerade war ein
Verdacht in ihm aufgekommen, mehr als eine Vermutung, fast schon Gewißheit, wenn er Francescos Worte richtig deutete. »Moment mal, das war gar kein Zufall, stimmt’s? Du warst ein Lockvogel und hast mich
hergeführt, weil es dein Auftrag war!«
Der letzte Satz war keine Frage mehr gewesen, sondern eine Feststellung. In Francescos Gesicht las er,
daß er recht hatte. Er packte den jungen Mann an der
Kutte und war kurz davor, ihn durchzuschütteln.
»Warum der ganze Aufwand? Weshalb bin ich so
wichtig für euch?«
Er erhielt keine Antwort, aber er ahnte den Grund
auch so. Er war ein Engelssohn, ein Nachfahre des
Erzengels Uriel.
Doch wenn das der Grund war, mußten die Mönche
hier sein Geheimnis kennen. Das war an sich schon
beunruhigend, aber noch beunruhigender war die Frage, die sich daraus ergab: Was wollten die Mönche von
ihm? Wozu brauchten sie einen Engelssohn?
21
Rom
S
chwere Regentropfen trommelten gegen die Fensterscheiben von Elena Vidas Büro. Alexander
war so in die Arbeit vertieft, daß er es erst bemerkte,
als der Regen wohl schon eine ganze Weile andauerte.
Die Dächer und Straßen waren naß, und die wenigen
Passanten zogen die Köpfe ein oder versteckten sich
unter Schirmen. Er lehnte sich auf dem schwarzen Bü
rostuhl zurück, verschränkte die Arme hinter dem
Kopf und starrte auf den Flachbildschirm, der eine der
vielen Textdateien zeigte, die Elena und er auf der
verzweifelten Suche nach einem Hinweis auf den mysteriösen Bischof in den Bergen durcharbeiteten. Elena saß neben ihm, blickte auf einen ähnlichen Bildschirm und zeigte keine Spur von Müdigkeit. Daß sie
wieder auf freiem Fuß war und ihrer Arbeit nachgehen konnte, schien sie zu beflügeln.
Alexander hatte daran gedacht, sie auf das Kind in
ihrem Leib anzusprechen, aber dann hätte er verraten
müssen, daß Donati ihm davon erzählt hatte. Außerdem war er sich nicht sicher, ob ein Gespräch über ihre Schwangerschaft das angespannte Verhältnis zwischen ihnen nicht noch mehr belasten würde. Vielleicht war es klüger, auf eine günstigere Gelegenheit
zu warten.
Er rieb sich über die Augen, die vom Auf-denBildschirm-Starren angestrengt waren, und wandte sich
wieder dem Lebenslauf von Rosario Picardi zu, der anläßlich seines Wechsels zum IOR im Osservatore Romano , der vatikanischen Tageszeitung, erschienen
war.
»Als Geistlicher und dann als Stellvertretender Direktor der Vatikanbank ist Picardi mit mehr Bischöfen
zusammengetroffen, als in ein Großraumflugzeug passen«, stöhnte er. »Dabei wissen wir nicht einmal, ob
der Bischof, von dem Emilio gesprochen hat, etwas
mit Picardi zu tun hatte.«
Elena hatte darauf gedrungen, bei Picardi anzusetzen. Der tote Vatikanbanker war ein Geistlicher gewesen, da lag eine Verbindung zu dem von Petti erwähnten Bischof nahe – meinte zumindest Elena.
»Irgendwo müssen wir ja mit der Suche beginnen«,
sagte sie. »Mein Riecher sagt mir, daß Picardi ein guter Anknüpfungspunkt ist.«
»Zumindest war er ein Mann, der wohl jeden Bischof in Italien kannte. Ich glaube …« Er unterbrach
sich, weil ein Satz in dem Artikel des Osservatore
Romano seine Aufmerksamkeit erregte. »Ich nehme alles zurück, Elena! Vielleicht habe ich gerade unseren
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