Engelsfuerst
gebe!« sagte Alexander eindringlich, aber leise.
»Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
Es gefiel ihm gar nicht, Elena in Gefahr zu bringen,
und er versuchte noch einmal, sie umzustimmen:
»Lauf zurück zum Wagen und fahr nach Frana. Dort
gibt es vielleicht einen Polizeiposten oder wenigstens
einen Festnetzanschluß, über den du die Polizei alarmieren kannst.«
»Das dauert viel zu lange. Außerdem will ich dich
hier nicht allein lassen!«
Warum nicht, hätte er am liebsten gefragt. Aber sie
hatten jetzt keine Zeit, um zu streiten. Also fand
Alexander sich damit ab, daß Elena blieb.
Alexander voran, Elena mit zwei Schritten Abstand
hinter ihm, betraten sie durch eine schwere, halb offenstehende Holztür einen erleuchteten Gang. An
dessen Ende stand eine antik wirkende Anrichte.
Elena tippte Alexander auf die Schulter und deutete
auf das altertümlich aussehende Telefon auf der Anrichte. Er hatte es schon gesehen und nickte nur
knapp. Während er in die Hocke ging und, die Pistole
im Anschlag, den Flur sicherte, huschte sie zu der Anrichte, um nach wenigen Sekunden enttäuscht einen
Teil des Kabels ins Licht zu halten. Es war durchgeschnitten; die Killer hatten an alles gedacht.
Ein lautes Poltern dröhnte durchs Haus. Elena
zuckte zusammen. Das Geräusch wiederholte sich,
wieder und wieder. Es hörte sich an, als schlage jemand gegen ein Holzbrett.
»Das kommt von oben«, flüsterte Alexander und
zeigte auf die Treppe am Ende des Flurs.
Er lief an Elena vorbei, die Treppe hinauf, und sie
folgte ihm. Kurz vor dem oberen Treppenabsatz
machte er sich so klein wie möglich.
Wieder ertönte das laute Geräusch, und er lugte
vorsichtig um die Ecke in einen weiteren Flur. Licht
war nicht eingeschaltet, aber durch ein Fenster am
Ende fiel genügend Helligkeit ein, um ihn zwei schemenhafte Gestalten erkennen zu lassen. Eine davon
war ungewöhnlich groß. Das mußte der Mann mit der
Augenklappe sein. Der andere, einen Kopf kleiner
und massiger, warf sich mit der Schulter gegen eine
Doppelflügeltür. Daher das dröhnende Geräusch.
Alexander ahnte, was sich abgespielt hatte. Die Killer waren vorsichtig vorgegangen. Sie hatten Signora
Ferzetti die Kehle durchgeschnitten und sie nicht erschossen. Aber sie waren nicht vorsichtig genug gewesen. Egidio Guarducci hatte etwas bemerkt und sich
in dem Zimmer hinter der Flügeltür eingeschlossen.
Es mußte eine dicke Tür sein, so schwer, wie es zu
sein schien, sie aufzubrechen.
In dem Augenblick, als Elena den oberen Absatz
erreichte, wirbelte die große Gestalt herum. Vielleicht
hatte die Treppe leise geknarrt.
Alexander reagierte sofort. Er fuhr herum, umschlang Elena mit dem linken Arm und riß sie mit sich
zu Boden. Aus den Augenwinkeln bemerkte er das
Aufblitzen im Dämmer des Flurs. Die Kugel jagte,
nur begleitet vom dumpfen Ploppen einer schallgedämpften Waffe, dicht an seinem Kopf vorbei und
fuhr splitternd ins Holz des Treppengeländers.
Er ließ Elena los, umfaßte die P 225 mit beiden
Händen und schoß zurück.
Dreimal zog er den Abzug durch, drei Schüsse
krachten, so schnell hintereinander, daß es fast klang
wie eine einzige Detonation. Er hörte einen erstickten
Aufschrei und das Geräusch eines zu Boden fallenden
Körpers.
Das mußte der Massige gewesen sein. Schnell duckte Alexander sich weg, bevor der andere Killer sich
von der Überraschung erholt hatte und einen Kugelhagel in seine Richtung sandte. Alexander, der sich auf
die Treppe zurückgezogen hatte, zählte vier oder fünf
Schüsse, alle mit einer schallgedämpften Waffe abgegeben. Ihnen folgte ein lautes Kullern, so als sei jemandem ein großer, runder Gegenstand aus der Hand
gefallen.
»Eine Granate!«
Mit diesem Ruf warf er sich schützend über Elena
und riß sie mit sich die Treppe hinunter. Dabei stieß
er mit der Stirn gegen eine scharfe Kante, genau an der
Stelle, wo ihn am Vorabend der Streifschuß erwischt
hatte. Ihm war, als würde ein Nagel in seinen Schädel
getrieben.
Auf halber Höhe der Treppe gab es einen Absatz,
auf dem der Sturz der beiden endete. Alexander lag
über Elena und konnte sie wenigstens mit seinem Körper schützen, als über ihnen die Granate explodierte.
Die Detonation war viel leiser als erwartet, und der
Schmerz, auf den er sich vorbereitet hatte, blieb aus.
Statt dessen waberte eine dunkle Wolke durchs Treppenhaus. Seine Augen brannten, und Tränen liefen
ihm über die Wangen. Elena erging es nicht anders.
»Tränengas«, hustete er
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