Engelsfuerst
Telefonbefehl
einschalten. Ist eigentlich als Schutz vor Einbrechern
gedacht, wenn man mal länger weg ist, hat sich aber
heute abend auch als ein überaus nützlicher Schutz
vor der Polizei erwiesen. Ich habe meinen Wagen in
die Garage gefahren, bin dort in den Audi umgestiegen, habe über mein Handy per Telefonsignal Licht
und Musik eingeschaltet und bin unbehelligt wieder
weggefahren, während die Polizisten sich auf meine
Wohnung konzentrierten. Ich dachte, bei dir würden
sie mich kaum suchen.«
»Du hattest den Audi also schon vorher angemietet?« fragte Elena und gab etwas mehr Gas.
»Schon vor einer ganzen Weile. Als unsere Gruppe
aktiv wurde, mußte ich damit rechnen, daß man mir
auf die Schliche …« Laura brach ab, und ein wütender
Zug trat auf ihr Gesicht. »Fahr langsamer, sofort!«
Enttäuscht nahm Elena den Fuß vom Gaspedal.
»Das war ein dummer, kleiner Trick!« schimpfte
Laura. »Obwohl hier nur achtzig Stundenkilometer
erlaubt sind, weit über hundert zu fahren. Hast wohl
gehofft, die Radarkontrolle schießt ein nettes Bild von
uns beiden, das Stelvio auf unsere Spur bringt?«
»Einen Versuch war’s wert«, murmelte Elena.
»Noch so ein Versuch, und ich werde ernsthaft böse!«
Schweigen trat ein, während Elena die Geschwindigkeit noch weiter drosselte und den Audi durch eine
Baustelle lenkte, die sich über mehrere Kilometer hinzog. Sie überlegte, was geschehen würde, wenn sie das
Steuer etwas verriß, damit der Wagen in die Absperrung geriet. Sie fuhr jetzt weniger als fünfzig, was bedeutete, daß sie gute Aussichten hatte, den Unfall ohne ernste Schäden zu überstehen.
Aber sie war schwanger, und damit bestand ein erhöhtes Risiko. Außerdem würde die Überraschung
nicht lange anhalten. Konnte sie überhaupt aus dem
Wagen entkommen, bevor Laura von der Pistole Gebrauch machte?
Die Unwägbarkeiten waren zu groß, als daß Elena
die Unversehrtheit ihres ungeborenen Kindes dafür
riskiert hätte. Dann lag die Baustelle hinter ihnen, und
sie beschleunigte auf die jetzt erlaubten einhundert
Stundenkilometer.
»Du hast eben eure Gruppe erwähnt«, griff sie das
Gespräch wieder auf. »Was für eine Gruppe ist das?«
»Bist du darauf wirklich noch nicht gekommen?«
Laura sagte das in einem Tonfall, der Elena einen
Schauer über den Rücken jagte. Es gab eine religiöse
Gruppierung, die in Elenas Vergangenheit eine große
Rolle gespielt hatte. Der sie selbst einmal angehört
hatte, weil sie von ihr erzogen worden war. Eine
Gruppierung, die ihre Mitglieder zu Bußfertigkeit anhielt, ihnen unaufhörlich ihre Sünden bewußt machte
und sie so zu willenlosen Werkzeugen formte. Elena
hatte geglaubt, das alles liege hinter ihr, aber Lauras
seltsame Bemerkung erschütterte diesen Glauben.
»Sprichst du von Totus Tuus?« fragte sie vorsichtig.
»Aber ja. Überrascht dich das wirklich?«
Elena holte tief Luft. »Ich dachte, Totus Tuus sei
endgültig zerschlagen. Außerdem verstehe ich nicht,
wie eine Frau wie du …«
»Eine Frau wie ich?« Die bislang so ruhige Laura
explodierte. »Was für eine Frau war ich denn, nachdem ich meine Kinder und den Mann, den ich abgöttisch liebte, verloren hatte? Ich hatte keinen Menschen
mehr, und ich wußte, ich würde nie wieder Kinder
bekommen können. Nicht gerade die beste Voraussetzung für eine junge Frau, den Mann fürs Leben zu
finden, oder? Ich habe an mir gezweifelt, mich gefragt,
ob ich überhaupt noch eine Frau – ein Mensch – war,
sogar an Selbstmord habe ich gedacht. Zwei Therapien
habe ich bis zum bitteren Ende durchgemacht und eine dritte abgebrochen, als ich erkannte, daß weder das
Geschwätz der Ärzte noch die Pillen mir helfen konnten. Auch bei der kirchlichen Seelsorge habe ich vergebens Hilfe gesucht. Alles, was sie mir dort angeboten haben, waren fromme Sprüche und der Rat, fleißig
zu Gott zu beten.«
»Und was hat Totus Tuus dir angeboten?«
»Ein neues, erfülltes Leben, als ich schon nicht
mehr daran glaubte.«
»So fangen alle Sekten ihre Opfer ein. Sie halten gezielt Ausschau nach Verzweifelten, nach Menschen in
einer tiefen Lebenskrise. Am besten nach solchen wie
dir, die einen großen Verlust erlitten haben, einen geliebten Angehörigen oder – wie bei dir – die ungeborenen Kinder. Und dann reden sie ihnen ein, daß gerade darin der Sinn des Lebens besteht. Daß das alles eine von Gott gewollte Prüfung ist, die sie auf den Pfad
des Glaubens führen soll. Das beginnt meist damit,
daß der
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