Engelsfuerst
Mautbetrag.
Elena reichte ihm den Geldschein, den Laura ihr
gegeben hatte, durch das offene Seitenfenster. Tausend
Fragen schossen ihr durch den Kopf, und sie wurde
ihrer Aufregung kaum Herr. Was würde geschehen,
wenn sie um Hilfe rief?
Würde der Mann überhaupt verstehen, was sie
wollte?
Gewiß würde er nur langsam reagieren, viel zu
langsam für sie. Laura hatte, als sie auf die Mautstation zurollten, eine der beiden Pistolen auf Elena gerichtet, so geschickt unter ihrer Jacke verborgen, daß
der Mann in der Kabine es nicht bemerken konnte.
Elena stellte sich vor, daß Lauras Zeigefinger am Abzug lag. Ein kleiner Druck nur, und die Kugel würde
sie treffen – sie und ihr Kind!
Wortlos reichte der Mann ihr die Quittung und ließ
die Schranke vor ihnen hochgehen. Zögernd, enttäuscht angesichts der vertanen Chance, gab Elena
Gas und ließ die Fensterscheibe hochgleiten. Der Audi beschleunigte mit einem leisen Motorschnurren
und ließ die lange Reihe von Kabinen und Schranken
hinter sich. Auf der Autobahn kletterte der Zeiger am
Tacho schnell höher, und bald war die gut ausgeleuchtete Mautstation nur noch ein heller Fleck im Rückspiegel.
»Warst ein braves Mädchen«, säuselte Laura und
steckte die Waffe weg. »Einen Moment lang habe ich
tatsächlich geglaubt, du wolltest dem armen Kerl die
Nachtschicht schwerer machen als nötig.«
»Einen Moment lang habe ich auch daran gedacht«,
erwiderte Elena, während sie einen langsamen Tanklastzug überholte.
»Warum hast du es nicht getan?«
»Weil ich an mein Kind gedacht habe.«
»An dein Kind solltest du immer denken, Elena.«
Laura klang jetzt sehr ernst. »Nichts ist wichtiger. Ich
weiß, wovon ich rede.«
Elena hatte keine Lust, mit Laura über ihr Kind zu
sprechen.
Um das Thema zu wechseln, fragte sie: »Warum
sind wir überhaupt an eine Schranke mit Kassierer gefahren? Hätten wir eine genommen, an der man mit
Kreditkarte bezahlen kann, wärst du kein Risiko eingegangen.«
Laura schüttelte übertrieben heftig den Kopf.
»Aber Elena, für wie naiv hältst du mich? Kreditkartendaten werden gespeichert!«
»Wir hätten meine Karte nehmen können.«
»Die Idee ist auch nicht besser. Auch nach dir werden sie bald suchen. Alexander und Stelvio werden geradezu rotieren, wenn sie merken, daß du verschwunden bist. Nein, mein Schatz, wenn du mich verleiten
willst, einen Fehler zu begehen, mußt du dich geschickter anstellen!«
»Du bist gut darin, der Polizei zu entkommen«,
sagte Elena. »Woher hast du gewußt, daß deine Wohnung gestürmt werden soll?«
»Du selbst hast mich mißtrauisch gemacht.«
»Ich? Wie das?«
»Heute nachmittag in meinem Büro hast du mir erzählt, die Polizei hätte den Killer, den Alexander im
Haus von Erzbischof Guarducci erschossen hat, noch
nicht identifiziert.«
»Ich wollte dich, für den Fall, daß du wirklich mit
denen unter einer Decke steckst, nicht verschrecken.«
»Damit ich euch auch ja in die Falle gehe.«
»Ja.«
»Nimm es als Ironie des Schicksals, Elena, daß du
gerade dadurch mein Mißtrauen erregt hast. Nuccio
Carpi war der Polizei aufgrund seiner früheren Straftaten bekannt. Daß man trotzdem so lange brauchen
sollte, um ihn zu identifizieren, hat mich stutzig gemacht.«
»Aber nicht stutzig genug, um den Einäugigen zurückzupfeifen. Wie heißt er eigentlich?«
»Mino Pistoni. Er ist, ebenso wie Carpi, nur ein
Handlanger. Der Verlust der beiden ist zu verschmerzen. Deshalb konnte ich es riskieren, Pistoni zur Klosterruine zu schicken. Schließlich war ich mir nicht sicher, ob das Treffen mit dem geheimnisvollen Informanten echt oder eine Falle war.«
»Wann hat sich dein Verdacht konkretisiert?«
»Erst, als ich abends zu meiner Wohnung gefahren
bin. Stelvios Leute waren etwas zu übereifrig in dem
Bestreben, mich bloß nicht aus den Augen zu verlieren. Auch wenn sie die Teams und Fahrzeuge ausgewechselt haben, mir ist es doch aufgefallen. Wäre ich
nicht schon mißtrauisch gewesen wegen des angeblich
noch nicht identifizierten Killers, hätte ich es vielleicht
nicht bemerkt. Aber so war das Glück auf meiner Seite.«
»Und wie ist es dir gelungen, aus deiner Wohnung
zu entkommen?«
»Ich war überhaupt nicht drin.«
»Das kann nicht sein! Die Carabinieri, die deine
Wohnung gestürmt haben, erzählten etwas von brennendem Licht und Musik.«
Laura lächelte verschmitzt. »Ich habe mir vor kurzem eine Fernsteuerung einbauen lassen. Licht und
Hi-Fi-Anlage lassen sich über einen
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