Engelsfuerst
weitererzählen.«
Laura schüttelte den Kopf. »Nicht jetzt, Elena. Du
wirst die Wahrheit noch früh genug erfahren, vielleicht schon, wenn wir am Ziel sind.«
»Und was ist unser Ziel?«
»Ein Ort, von dem aus Totus Tuus der Welt zeigen
wird, daß Gottes Strafgericht über alle kommt, die
sich Seinen Geboten widersetzen. Du wirst staunen,
glaub mir!«
Es war enttäuschend, daß die erst so gesprächige
Laura sich jetzt derart bedeckt zeigte. Aber als erfahrene Journalistin wußte Elena, daß man eine Frage oft
mehrmals – in veränderter Gestalt – stellen mußte, um
einen verstockten Gesprächspartner aufzuweichen.
Also fragte sie nach kurzer Pause: »Wenn du befürchtest, daß ich eure Pläne vorzeitig verraten könnte, warum schleppst du mich dann mit? Ich könnte
einfach auf dem Seitenstreifen halten und verschwinden. Ich lasse dir auch mein Handy da. Bis ich die Polizei informiert hätte, wärst du längst über alle Berge.«
»Danke für das großzügige Angebot«, erwiderte
Laura mit einer Mischung aus Ironie und Zynismus.
»Aber da ich dein Handy schon an mich genommen
habe, bin ich auf deine Kooperation nicht angewiesen.
Auch sonst ist dein Vorschlag wenig attraktiv für
mich. Ich habe Pläne mit dir. Du warst eine Dienerin
Gottes, als du von Totus Tuus erzogen wurdest. Dann
hast du dich vom Orden und von Gott abgewandt.
Ich bringe die verlorene Tochter in den Schoß der
Gemeinschaft zurück.«
»Falls du glaubst, ich könnte jemals wieder in den
religiösen Wahn verfallen, in den Totus Tuus seine
Mitglieder treibt, täuschst du dich. Ich habe lange gebraucht, um davon wegzukommen, und es war ein
dorniger Weg. Ich bin von Totus Tuus kuriert, für alle
Zeit!«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte Laura vieldeutig. »Aber darauf kommt es letztlich nicht an. Totus Tuus hat viel in deine Erziehung investiert, und du
hast der Gemeinschaft einfach den Rücken gekehrt.
Du schuldest uns ein Leben, Elena, ein junges Leben,
das formbar ist im Sinne des Herrn. Und dieses Leben
trägst du in dir.«
Es dauerte eine Weile, bis Elena begriff, was sie gehört hatte. Es schien unglaublich und mochte doch in
der verdrehten Logik von Totus Tuus einen Sinn ergeben – einen schrecklichen Sinn.
»Ihr wollt … mein Kind?« fragte sie, während sie
noch um Fassung rang.
»Du schuldest es uns!« Es klang, als verkünde Laura ein Gesetz oder ein kirchliches Dogma. »Das Kind
der klugen Elena Vida und des mutigen Alexander
Rosin wird ein würdiges Mitglied unserer Gemeinschaft abgeben. Und wer weiß, vielleicht wirst du eines Tages noch stolz auf es sein.«
»Ich hoffe, daß ich eines Tages stolz auf mein Kind
bin. Aber noch mehr hoffe ich, daß es niemals in die
Fänge von Totus Tuus gerät!«
Laura lächelte unbeirrt. »Daran wirst du nichts
mehr ändern, Elena. Dein Kind gehört uns!«
37
In der Gegend von San Gervasio
E
nrico fühlte sich schlecht, und er mußte sich bezwingen, damit er sich in der stickigen Enge des
Lieferwagens nicht übergab. Sein Vater, in dessen Schoß
sein Kopf noch immer gebettet war, strich ihm beruhigend über die Stirn, und Enrico lächelte ihn dankbar an.
Es tat gut, nicht länger allein zu sein, auch wenn
sein Vater in der gegenwärtigen Situation ebenso
machtlos erschien wie er selbst.
Je länger die Fahrt ins Ungewisse dauerte, desto
unwohler fühlte Enrico sich. Etwas in ihm schien zu
revoltieren, aber wogegen? Dabei fühlte er sich nicht
einmal schwächer. Im Gegenteil, er spürte seine Kraft
zurückkehren. War es einfach die Furcht vor dem
Kommenden, die ihn im Griff hatte?
Dicht bei ihm hockte Francesco und schien die meiste Zeit über durch alle hindurch ins Nichts zu starren. Oder auf etwas, das nur er sehen konnte.
Einmal trafen sich kurz ihre Blicke, und da schien
es Enrico, als lese er große Besorgnis in Francescos
Zügen. Aber um wen sorgte er sich? Um ihn, Enrico?
Unwahrscheinlich, dachte Enrico.
Francesco hatte ihn nach San Gervasio gelockt, hatte ihm die Komödie vom jungen Mönch vorgespielt,
der in dem Fremden einen brüderlichen Freund zu
finden hoffte. Aber er hatte ihm auch geholfen, als er
im Kerker des Klosterturms einsaß.
Enrico konnte es drehen und wenden, wie er wollte, Francesco blieb ihm rätselhaft.
Giuseppe war der einzige unter ihnen, der einen
völlig entspannten Eindruck machte. Rücklings gegen
die Tür gelehnt, hockte er da, als habe er sich zu einer
gemütlichen Rast niedergelassen. Auf seinen Knien lag
der
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