Engelsgesang
dem Jungen gut ging …
Kurz huschten Bilder von der betreffenden Nacht durch seinen Kopf, wie er durch van Campens Garten gestolpert war und seine Zigarettenkippen mit den eindeutigen DNA-Spuren hinterlassen hatte. Wirklich super. Er schien der größte Trottel auf der Welt zu sein. Verärgert wischte er diese Gedanken beiseite.
67.
67.
Als Ángel nach drei Tagen endlich aufwachte, spürte Martin sofort, dass etwas anders war.
Als Ángel die Augen öffnete, ihn lächelnd ansah und schien alles noch normal zu sein. Aber als sein Freund aufstand und völlig ungeniert nackt umherlief, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Ángels Schüchternheit war wie weggeblasen. Es war so, als wäre sie bei dem Ritual zusammen mit dem roten Umhang von seiner Schulter gerutscht. Zwanglos bewegte er sich in Martins Räumlichkeiten, so als wäre er sich seiner Nacktheit, die seine Ausstrahlung nur noch unterstrich, absolut nicht bewusst.
„Ich fühle mich, als hätte ich zu lange geschlafen“, sagte er und trat auf den kleinen Balkon hinaus. Tief zog er die kühle Morgenluft in seine Lungen ein.
„Das wäre möglich. Wie geht es dir?“, fragte Martin vorsichtig.
„Ich fühle mich etwas zerschlagen … aber ansonsten total erholt.“
Ángel setzte sich neben Martin aufs Bett. „Und wie geht es dir?“ Er legte Martin die Arme um den Hals und sah ihm tief in die Augen.
Einige Sekunden hielt Martin stand, dann sah er zur Seite. „Äh … willst du frühstücken?“
„Gern.“
„Okay … ich hol dir was aus der Küche.“ Es sah fast so aus, als würde Martin aus dem Zimmer flüchten. Er konnte es sich selbst nicht erklären, aber irgendetwas war an seinem Freund unheimlich. Er konnte diesen Blick, aus den grün-braunen Augen, die bis in sein Innerstes zu blicken schienen, einfach nicht aushalten. Er hatte das Gefühl, wenn er Ángel nur lange genug Gelegenheit gab, ihn anzusehen, würde dieser all seine düsteren Gedanken und Taten erkennen. Und das wollte er nicht. Niemals. Er konnte seine Fehler nicht rückgängig machen, selbst wenn er wollte. Er wollte nicht, dass sein Freund ihn als brutalen Satanist und Mörder sah. Das war er nicht … nicht wirklich...
Stumm stellte er Ángel das Tablett hin und gab vor, in seinem Bücherregal etwas zu suchen.
„Ich muss zu Wolfgang“, sagte dieser, nachdem er zwei Brötchen mit drei Tassen Kaffee heruntergespült hatte.
„Ich kann dich fahren.“
„Nein, danke. Ich möchte allein gehen. Ich habe da noch was zu erledigen …“
Im Nachhinein fluchte Martin darüber, dass er diesem Satz nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Doch in diesem Moment war er einfach nur froh, dass Ángel ihn vor diesem tiefen, alles wissenden Blick verschonte.
Nachdenklich sah Martin ihm nach, wie er die Straße Richtung Bushaltestelle entlanglief. Trotz des sommerlichen Wetters trug er seinen schwarzen Ledermantel. Seltsamerweise wirkte er heute nicht so, als wäre er ihm zu groß. War Ángel gewachsen, oder lag es daran, dass er sehr viel selbstsicherer, mit gestrafften Schultern ging?
Martin zuckte ratlos mit der Achsel und griff nach dem Telefon.
„Frater Azurite? Ich bin’s, Martin.“
„Ist alles in Ordnung?“
„Ja, alles ist Bestens. Angel ist wach, und es geht ihm gut.“
„Ich habe doch gesagt, dass du dir keine Sorgen machen brauchst.“
„Ja, Ihr hattet recht, aber ich habe trotzdem noch eine Frage an Euch …“
Nachdem Frater Azurite nichts entgegnete, fuhr er fort: „Ist es normal, dass sich nach dem Ritual der Protagonist verändert? Ich meine, nicht körperlich … sondern … in seinem Charakter?“
„Nun … das kommt darauf an“, begann Azurite zögernd. „Ich glaube nicht, dass so etwas möglich ist. Ich habe jedenfalls noch nie von so einem Fall gehört … Er müsste charakterlich so bleiben, wie du ihn kennst, nur entspannter, glücklicher und sich seiner Stärken um ein vielfaches bewusster. Nur einige wenige Male habe ich erlebt, dass nach so einem starken Ritual paranormale Eigenschaften aufgetreten sind.“
„Was meint ihr mit … paranormalen Eigenschaften?“
„Nichts Welterschütterndes … nur eine erhöhte Sensibilität. Einmal erlebte ich einen interessanten Fall von spontanen telekinetischen Fähigkeiten. Der Protagonist konnte plötzlich kleine Gegenstände mit Hilfe seiner Geisteskraft bewegen. Aber das ist wirklich eine extreme Seltenheit. Wieso fragst du? Ist dir irgendetwas aufgefallen?“
„Nein, nein, ich
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