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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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Und dann werden wir jedes Jahr deinen Geburtstag an genau diesem Tag feiern. Glaub mir, du wirst deinen Geburtstag lieben.“
    „Darauf freue ich mich schon“, hauchte Ángel an seiner Brust. Seine Stimme hatte einen schlafwandlerischen Ton angenommen, der anzeigte, dass die Ingredienzien des Trankes bei ihm zu wirken begannen.
    Martin zog ihn in eine letzte Umarmung. Am liebsten hätte er ihn nie wieder losgelassen. Doch dann schob er Ángel durch die Tür und wies ihm den Weg, den er jetzt allein gehen musste.
    Einige Minuten blieb er noch in der kleinen Kammer. Mit geschlossenen Augen flüsterte er ein sich wiederholendes Mantra, bis er allmählich Ruhe in sich aufsteigen fühlte. Dann erst folgte er seinem Freund in den großen Raum.
    Leise trat er ein.
    Im ersten Moment erschien ihm die Umgebung wie immer. Aus großen Schalen stieg der Rauch verbrannter Kräuter auf. Flackernder Kerzenschein erleuchtete die gewohnte Szenerie, die sich um den, als provisorischer Altar, verwandelten Holztisch abspielte. Dann fiel sein Blick auf den nackten weißen Körper, der auf dem schwarzen Samt lag. Blondes Haar ergoss sich über den Rand. Doch auch dieses Bild hatte er schon oft gesehen. Was ihn dieses Mal verstörte, waren die wollüstig, aufreizenden Bewegungen, die dieser Körper vollführte. Frater Azurite ließ eine Hand, die einen langen Dolch hielt, über dessen weiße Haut gleiten, während er majestätisch um den Altar herum schritt. Augenblicklich bäumte sich der vor ihm liegende Leib, wie unter elektrischen Stromstößen, auf. Ein begehrliches Stöhnen, das Martin zusammenzucken ließ, übertönte den monotonen Gesang der Umherstehenden. Azurite flüsterte dem vor ihm liegenden etwas ins Ohr. Augenblicklich richtete Ángel sich auf. Seine Haut spannte sich über seine Muskeln. Sein leerer Blick suchte die umherstehenden Gestalten in den dunklen Kapuzen ab. Martin trat schnell in den Schatten einer Säule. Er wollte nicht, dass Ángel ihn auswählte. Er wollte noch nicht einmal, dass das Ritual diese Wendung nahm. Er hatte es befürchtet, aber er hatte die ganze Zeit gehofft, dass Azurite eine andere Möglichkeit wählen würde.
    In Martin breitete sich ein dumpfes beißendes Gefühl aus. Es zog aus seinem Magen bis zum Herzen hinauf und war Eifersucht nicht unähnlich. Nur dass hier noch viel mehr mitspielte …
    Ewigkeiten schwebte Ángels Blick über die Anwesenden, so als suche er jemanden Bestimmten. Endlich blieb er an einer großen Gestalt hängen. Frater Azurite winkte den Auserwählten mit einer knappen Geste heran. Dieser trat an den Altar und verbeugte sich knapp.
    Martin wusste genau, was sich jetzt abspielen würde. Er hatte es schon einige Male erlebt. Doch heute wollte er es auf keinen Fall sehen. Er schloss die Augen, als der Auserwählte nach Ángel griff und diesen in die richtige Position zog. Als ein lauter Schrei erklang, in dem Schmerz und grenzenlose Geilheit sich vermischten, drehte Martin sich um und verließ fluchtartig den Raum.

65.
    65.
     
    Martin saß auf der Kellertreppe und rauchte. Zigarettenkippen lagen um ihn verstreut auf dem rissigen Betonboden. Dunkle Augenringe betonten seine schwarzumrandeten Augen.
    Mittlerweile bahnten sich die ersten Sonnenstrahlen einen Weg zwischen den hohen Stadthäusern hindurch. Er hatte keine Uhr bei sich, aber der frühe Vormittag schien schon vorbei zu sein.
    Erwartungsvoll blickte er auf, als sich die Tür öffnete und Karin ihren Kopf hindurch steckte. „Wir sind fertig.“
    „Wird ja auch Zeit. Ich dachte schon, ihr braucht ewig.“
    „Frater Azurite sagt, es war schwieriger als er angenommen hat.“
    „Na, so lange er nur seinen Spaß gehabt hat“, entfuhr es Martin zynisch.
    „Du tust ihm Unrecht, und das weißt du genau.“
    „Kann schon sein.“ Martin begann die umherliegenden Kippen aufzusammeln und folgte Karin dann ins Innere des Hauses.
    „Kann ich zu ihm?“
    „Er wartet schon in dem kleinen Zimmer. Hilf ihm beim Duschen und bring ihn dann nach Hause. Allein wird er das nicht schaffen. Er ist ziemlich benommen.“
    „Das glaube ich gern. Nach so einem Marathon würde es jedem so gehen.“
    Vorsichtig öffnete Martin die Tür zu dem kleinen Zimmer. Ángel saß vornübergebeugt auf einem Stuhl und stützte sich mit den Armen auf seinen Knien ab. Den zerknitterten roten Umhang hatte man ihm nachlässig um den nackten Körper geschlungen.
    Martin war nicht überrascht, als er sah, in welchem Zustand sich sein Freund befand.

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