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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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auch nicht, irgendwie trau ich ihr nicht.“
    „Musst du ihr denn trauen? Reicht es nicht, dass sie Fotos von dir macht, und du dafür die Knete bekommst. Kohle kassieren, nur für einfaches Rumstehen. Lass dir das mal auf der Zunge zergehen. Andere reißen sich jeden Tag für ihr mickriges Gehalt den Arsch auf.“ Er hob das Glas und prostete Ángel zu. „Überleg mal, du müsstest dann nicht mehr auf meinem Teppich schlafen.“
    „Ja, du hast ja Recht. Ich sollte nicht so viel drüber nachdenken und es einfach tun.“
    „Junge, nicht dass ich dich nicht gern als Abwaschhilfe behalten würde, aber wenn ich in deinem Alter wäre, mit so einem Körper – na ja, den Körper habe ich ja noch“, dabei strich er sich grinsend über seine hagere Brust, „würde ich das nutzen. Was hast du schon zu verlieren?“
    „Meine Unschuld?“, sagte Ángel ernst und setzte augenblicklich ein Grinsen nach, um diese Antwort zu entschärfen.
    „Ach, so ist das. Ich sag dir eins: irgendwann ist immer das erste Mal.“
    „Nein, so war das nicht gemeint. Ich hab doch nur einen Scherz gemacht“, entgegnete Ángel schnell und versuchte über seine eigenen Worte zu lachen.
    „Schon klar, ich versteh dich.“ Wolfgang schob sich das letzte Stück Pizza in den Mund und leckte sich geräuschvoll die Finger ab.
    „Ich weiß nicht“, begann Ángel erneut. „Du solltest sie mal erleben. Ihr Auftreten, das was und wie sie es sagt, und dann diese roten Haare. Sie ist sicher älter als meine Mutter jetzt wäre, und trotzdem ist sie irgendwie so …“ Wieder schienen ihm die Worte zu fehlen.
    „Ach, mach dir da mal keine Sorgen. Sie wird dich schon nicht fressen. Sei einfach entspannt. Nimm mit, was du mitnehmen möchtest und bei dem Rest sag einfach NEIN. Ist doch ganz einfach.“
    „Na, wenn du das sagst.“ Ángel nippte zögernd an seinem Wein.
    „Du hast nicht gesagt, dass sie hässlich ist. Also, glaub mir, ein bisschen Erfahrung hat einem Mann noch nie geschadet. Wenn ich dir erzählen würde, was ich schon alles erlebt habe …“ Wolfgang kicherte. „Komm, stoßen wir auf deine erfolgreiche Modelkarriere an. Du wirst das schon machen. Ein paar Bilder, ich bitte dich, das sollte doch zu schaffen sein. Wahrscheinlich wird sie dich herumkommandieren und die ganze Zeit hinter ihrer Kamera versteckt durchs Objektiv schauen. Du wirst sie kein einziges Mal richtig zu Gesicht bekommen. Nächste Woche wirst du über deine heutigen Bedenken lachen.“
    Beide stießen klirrend mit ihren Gläsern an und leerten sie in einem Zug. Ángel verzog das Gesicht und schob das Glas von sich weg.
    „Mit Alkohol hast du’s auch noch nicht so, oder?“ lachte Wolfgang.
    „Muss man das, um erwachsen zu sein?“
    „Nein, natürlich nicht. Bleib, wie du bist.“ Er drehte sich zur Stereoanlage um. „Lust auf ein bisschen Musik?“
    Ángel nickte und lehnte sich zurück, während Wolfgang in seinem CD Stapel herumwühlte. „Welche Musik magst du?“
    „Ich weiß nicht“, entgegnete der Junge zögernd. „Alles?“
    „Okay, das hier kennst du sicher noch nicht. Deine Generation hört so was ja kaum.“
    Aus dem Lautsprecher erklang klassischer Gesang. Wolfgang setzte sich in seinen Schreibtischstuhl und schloss die Augen. „Ich liebe Klassik. Wenn ich studiert hätte, würde ich jetzt klassische Gitarre spielen und eine Menge Kohle machen.“
    Eine Weile hörten sie still zu.
    „Ich kenne dieses Stück“, murmelte Ángel. „Solche Musik klang immer durchs Haus, wenn mein…“, kurz zögerte er. Dann würgte er das nächste Wort regelrecht heraus, „wenn mein Vater arbeitete. Diese Musik bedeutete, dass wir vor seinen Wutausbrüchen verschont blieben. In solchen Momenten wehte fast so etwas wie Frieden durch die Räume.“
    Wolfgang öffnete die Augen und sah den Jungen nachdenklich an. Was war ihm nur widerfahren? Ob er ihn fragen sollte? Ausgestreckt lag Ángel auf dem Teppich. So wie er jetzt aussah, wirkte er ganz anders als vorhin beim Gespräch oder als sie sich das erste Mal getroffen hatten. Sein schönes Gesicht, von widerspenstigen Locken umrahmt, strahlte eine stille Makellosigkeit aus. Verschwunden war die Unsicherheit und Angst, die ihn noch vor kurzem umgeben hatte. Wolfgang nahm den dichten dunklen Wimpernkranz wahr, die sanft geschwungenen Augenbrauen, das ebenmäßige Gesicht. Sein Blick wanderte über den glatten Hals, die breiten Schultern, die schmalen Hüften … In einigen Jahren, musste er fast neidvoll anerkennen,

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