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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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Zuhörer hatte.
    Es war schön zu hören, wie sich jemand in seiner Wohnung wohl fühlte. Leider musste er ihm diese Zuflucht nehmen. Er hatte keine andere Wahl. Sofort erstarb das Lächeln auf seinem Gesicht und machte stattdessen einer starren Maske Platz.
    Plötzlich schwang sich Ángels Stimme in die Höhe. Er sang klar und hell auf Italienisch und Wolfgang überlegte kurz, woher er das Stück kannte, das er hörte. Als es ihm einfiel, klappte sein Unterkiefer herunter.
    Gerade erst vorhin hatten sie das Stück auf CD gehört. Und jetzt sang es dieser Junge mit einer engelsgleichen Stimme in seinem Bad. Er konnte es nicht fassen. Unbewusst legte er seinen Kopf schräg. Er hörte zum ersten Mal, dass ein Mann dieses Stück sang. Wie schaffte es der Junge so zu singen? So hoch, so rein? Selbst das Geräusch des Wassers konnte dem Klang nichts anhaben. Bis jetzt hatte er es immer nur von Frauen gesungen gehört. Nur vom Hörensagen kannte er Countertenöre. Er hatte es für ein Märchen gehalten, dass Männer so singen konnten. Kein Mann, egal wie jung er war, konnte nach seinem Stimmbruch solche klaren Höhen erreichen. Doch nun … nun wurde er eines Besseren belehrt. Erst als er Atemnot bekam, merkte er, dass er die Luft anhielt.
    Wie versteinert saß Wolfgang da, als sich die Tür öffnete und Ángel in den schwach beleuchteten Raum trat. Entgegen seines gerade noch gefassten Vorhabens, brachte Wolfgang nun kein Wort über die Lippen. Er saß da und starrte vor sich hin. Starrte auf den jungen Mann, dessen unglaubliche Stimme er noch immer in seinem Ohr zu hören glaubte. Er nahm all die winzigen Einzelheiten wahr, die ihn noch vor kurzen so unglaublich verwirrt hatten. Das ebenmäßige Gesicht seines Gegenübers, die glatte Haut, die sich über den sehnigen Brustkorb spannte, der dunkelblonde Streifen geringelten Haars, der sich bis zum Bauchnabel hinaufzog. Noch nicht einmal der kleine feuchte Fleck an der Vorderseite von Ángels weißen Slip brachte ihn dazu zu zwinkern. Wie versteinert saß er da und zuckte mit keiner Wimper.
    „Danke, dass du mich aufgenommen hast.“
    „He?“, Wolfgang schreckte hoch.
    „Ich wollte mich für deine Hilfe noch einmal bedanken“, sagte Ángel. „Das, was du tust, ist keine Selbstverständlichkeit. Glaub nicht, dass ich das denke. Ich hoffe inständig, dass ich es irgendwann wieder gut machen kann.“
    Wolfgang starrte ihn entgeistert an, konnte aber noch immer nichts entgegnen. In seinem Kopf schwirrte plötzlich alles wild durcheinander. Was hatte er vorhin noch sagen wollen? Es war doch etwas so Wichtiges gewesen, dass es keine Zeit gehabt hatte, bis morgen früh zu warten. Doch er hatte es vergessen. Es war weg, wie ausgelöscht.
    Und dann beugte sich Ángel vor und umarmte ihn. Wolfgangs Körper versteifte sich noch mehr, während er den frischen Seifenduft einatmete, der von der nackten Haut des Jungen aufstieg.
    „Gute Nacht“, flüsterte Ángel und schlüpfte unter seine Wolldecke.
    Wolfgang blieb unverändert im fahlen Licht sitzen, legte die Fingerkuppen an seine Schläfen und begann sie mit kreisenden Bewegungen zu massieren. Irgendwas war gerade ganz anders verlaufen als er geplant hatte. Wo, zum Teufel, war der Zeitpunkt gewesen, als alles aus der Bahn lief? Er hatte es nicht mitbekommen. Das Gefühl, dass sein Leben gerade auf ein anderes Gleis geführt worden war, machte sich in ihm breit. Ein Gleis, das ihn in eine Richtung führen würde, die ihm völlig fremd war. Ideen wirbelten durch seinen Kopf und ein neuartiges lebendiges Kribbeln, das er noch nie in dieser Art verspürt hatte, breitete sich in ihm aus.
    Er würde heute Nacht hier sitzen bleiben und nachdenken, denn es gab viel, worüber er sich Gedanken machen musste.

9.
    9.
     
    Ángel sah, kurz bevor er auf den Klingelknopf drückte, in die schwarz getönte Glasscheibe neben der Tür und tastete seine linke Gesichtshälfte ab. Von der Schwellung war nichts mehr zu sehen, nur die Narbe, die noch immer verschorft auf seinem Wangenknochen prangte, würde ihn wahrscheinlich für den Rest seines Lebens schmücken.
    „Komm rein.“ Valerie Jugan öffnete die schwere Eingangstür und trat einen Schritt zurück. „Ángel?“
    „Genau“, antwortete Ángel und wunderte sich über die perfekte spanische Aussprache seines Namens.
    Energisch streckte sie ihm eine Hand entgegen. „Nenn mich Valerie.“ Als sie Ángels schüchternen Blick sah, setzte sie nach: „Du bist doch keiner meiner Studenten,

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