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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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also können wir uns auch duzen. Lass uns gleich ins Atelier gehen, ich habe viel vor.“ Sie drehte sich um und ging voraus. Ihr enger schwarzer Rollkragenpullover und die Marlenehose betonten ihre zierliche Gestalt und gaben ihr ein jugendliches Aussehen. Von hinten hätte man sie auf Mitte Zwanzig schätzen können. Ángel folgte ihr und schaute sich dabei vorsichtig um. Die Wohnung war riesig und strahlte eine elegante Kühle aus.
    „Ich möchte von dir heute erst einmal ein paar Portraitfotos machen. Nichts Schwieriges“, sagte Valerie, als sie vor der Fotoleinwand standen. „Setz dich da auf den Boden.“
    Ángel befolgte ihre Anweisung und sie griff nach ihrer Kamera.
    „Wie alt bist du eigentlich, Ángel? Sechzehn? Siebzehn?“
    „Achtzehn“, antwortete Ángel schnell und versuchte, dabei normal zu klingen. Es fiel ihm immer noch schwer, zu lügen.
    „Achtzehn? Da hab ich ja Glück“, sagte Valerie und begann einige Male auf den Auslöser zu drücken.
    „Glück?“, fragte Ángel und sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
    „Entspann dein Gesicht! - Ja, ich hätte sonst das Einverständnis von deinen Eltern einholen müssen. So was finde ich ziemlich lästig. Ich arbeite lieber mit volljährigen Jungs. Weniger Scherereien, weißt du.“
    „Ein Einverständnis brauchen Sie bei mir wirklich nicht“, warf Ángel schnell ein.
    „Siehst du, dann hab ich ja Glück. Nimm mal ein bisschen deine Haare zurück. Nein, die auf der linken Seite.“
    Ángel zögerte. „Ich glaube … das ist keine gute Idee. Ich habe da … ähm, ich meine … ich hatte da letztens eine Auseinandersetzung…“
    „Ich weiß“, unterbrach ihn Valerie. „Deshalb sollst du ja deine Haare zurücknehmen.“ Wieder flammte das Blitzlicht auf und machte den Eindruck, als würde sie wahllos Fotos, ja Schnappschüsse von ihm schießen. „Wenn ich normale Fotos machen wollte, könnte ich in einem Atelier für Passfotos arbeiten. Ich suche die künstlerische Herausforderung.“ Sie trat an ihn heran und fasste mit kalten Fingern unter sein Kinn. Leicht hob sie seinen Kopf an, dann strich sie ihm das Haar noch etwas weiter zurück. Ihre Augen trafen sich. „Außergewöhnliche Augen hast du“, stellte sie fest. „Die hast du von deinem Vater, oder? Genau so wie die Haarfarbe. Ihr seht euch sehr ähnlich.“
    Ángel zuckte zusammen, als hätten ihn nicht Sätze, sondern Ohrfeigen getroffen. Das erneute Aufflammen des Blitzlichtes nahm er gar nicht mehr war. „Mein Vater?“
    „Ja. Von deiner Mutter hast du das Aussehen auf jeden Fall nicht geerbt. Sie war doch Spanierin.“
    Ángel wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte. Er fühlte sich wie betäubt.
    „Sag mal, wann wirst du eigentlich genau achtzehn?“
    Diese Frage überraschte ihn noch mehr. „Wie … wie bitte?“
    „Ach, komm schon“, Valerie schaute durch den Sucher und drückte unablässig den Auslöser. „Denkst du wirklich, ich glaube dir deine Märchen, von wegen Volljährigkeit und diesen ganzen Scheiß? Ich weiß, wer du bist, und ich weiß, wer dein Vater ist. Mit ein bisschen Recherche hab ich sogar dein Alter rausbekommen.“
    Kurz war es still. Nur das Geräusch ihres Fotoapparates war zu hören. Ángel hatte das Gefühl, als wäre ihm eine Maske vom Gesicht gerissen worden, die zwar unsichtbar gewesen war, ihn dennoch sicher geschützt hatte. Er fühlte sich nackt, nackter noch, als vor ein paar Tagen in der Kunstakademie.
    „Und warum haben Sie mich dann nach meinem Alter gefragt, wenn Sie alles schon wissen?“
    „Ángel, bitte“, sagte sie und ignorierte seine Frage vollständig, „du sollst mich doch duzen! - Ja, genau, bleib so, genau diesen Gesichtsausdruck brauche ich von dir, sehr schön!“
    Ángel war zu sehr mit dem Ausmaß ihres Geständnisses beschäftigt, als dass er wegen der fehlenden Antwort hätte verärgert sein können.
    Was bedeutete ihr Wissen für ihn?
    Würde sie ihn verraten?
    Würde sein Vater kommen und ihn holen?
    Das durfte nicht passieren. Mit kantigen Bewegungen stand er auf. Sein Körper war wie betäubt. Valerie trat an ihn heran, den Fotoapparat hielt sie vor der Brust. „Hast du Angst? Das brauchst du nicht. Im Grunde genommen interessiert es mich nicht, wer du bist, wo du herkommst und welche Probleme du hast.“
    Als er sie ungläubig ansah, hob sie wieder die Kamera und knipste erneut. „Das Einzige was mich interessiert, sind Ergebnisse. So, ich glaube, ich hab’s.“ Sie legte die Kamera zur Seite

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