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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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unkonventionellen Weg nehmen. Der offizielle Eingang ist zu dieser Zeit schon geschlossen.“

25.
    25.
     
    Martin lief an der hohen Mauer entlang, und Ángel blieb nichts anders übrig, als ihm zu folgen.
    An einer Stelle lehnte sich ein Baum an die Mauer. Martin fasste einen der oberen Äste und zog sich hoch. Dann schwang er sich auf die Mauer. Einen Moment blieb er in gekauerter Haltung sitzen und sah auf Ángel herab. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht, aber vielleicht täuschte auch die Dunkelheit, und Ángel wünschte sich dieses Lächeln nur. Dann war er plötzlich verschwunden. Ángel stand da und starrte auf die Stelle der Mauer, wo Martin gerade eben noch gesessen hatte.
    „Was ist, kommst du?“, hörte er seine Stimme gedämpft von der anderen Seite. Eilig, und nicht ganz so elegant, schwang er sich hoch. Undurchdringliche Dunkelheit gähnte ihm entgegen. Er zögerte, ließ seinen Blick über das umzäunte Areal schweifen. Grabsteine leuchteten im Mondlicht. Sie waren auf einem Friedhof – bei Martin ja nicht wirklich verwunderlich, schoss es ihm durch den Kopf.
    „Spring hier herunter“, flüsterte Martins Stimme aus dem Schatten zu ihm herauf.
    Ángel hielt sich an der Kante fest und ließ sich an der Mauer herabgleiten, bevor er auf den Boden sprang.
    „Ein Friedhof, he?“, stellte er fest und wünschte sich wieder, etwas Originelleres gesagt zu haben. „Ist das der Ostfriedhof?“
    „Ja. Ich finde, es ist einer der romantischsten Orte Münchens. Hier hat man seine Ruhe, vor allem in der Nacht.“
    „Romantik? Ich weiß ja nicht. Romantik bedeutet für mich eigentlich etwas anderes …“, entgegnete Ángel und lachte. Dieser Ton hatte in der Stille des Ortes einen fremdartigen Klang.
    Martin ging durch die Gräber Richtung Hauptweg. Hinter sich hörte er Ángels langen Mantel gegen die Grabsteine schlagen. Irgendwie hatte er die ganze Zeit geglaubt, in Ángel einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Obwohl dieser sein Haar nicht schwarz färbte, deutete sein Äußeres, vor allem dieser schwarze Mantel, darauf hin, dass er ein Szenegänger war. Wer trug schon freiwillig so einen schweren Ledermantel, außer er wollte damit etwas aussagen, auf seine Gesinnung hinweisen? Auch die Tatsache, dass Ángel mit einem Punkmädchen im Bunker aufgetaucht war, hatte mehr als deutlich darauf hingewiesen, dass er zur Gothicszene gehören musste.
    Aber da hatte er sich wohl getäuscht. Die Unsicherheit, die Ángel plötzlich ausstrahlte, sobald er festgestellt hatte, dass sich hinter der Mauer ein Friedhof befand, war alles andere als true.
    „Du hast doch nicht etwa Angst?“, fragte Martin einer inneren Eingebung folgend und drehte sich um.
    „Wovor sollte ich Angst haben?“
    Martin schien es, als würde Ángels Stimme beben.
    „Na, vor den Toten …“ Martin sprang auf einen niedrigen Grabstein. „… die kommen werden, um dein Blut zu saugen.“ Dann breitete er die Arme aus und rief: „Huh, ich bin ein Vampir.“
    „Lass den Scheiß und komm runter“, flüsterte Ángel.
    „Wieso? Meinst du, ich störe hier jemanden?“ Martin lachte schallend. Seine weißen Zähne leuchteten im bleichen Mondlicht und gaben ihm ein gespenstisches Aussehen.
    „Tut mir leid, wenn ich dir deinen Spaß nehme, aber ich finde, man sollte den Frieden der Toten nicht stören. Die Toten verdienen unseren Respekt.“
    „Was haben sie denn getan, damit sie unseren Respekt verdienen?“, lachte Martin.
    „Muss ich dir das echt erklären?“ Ángel sah Martin an, bis dieser von dem Stein herunterstieg.
    „Was ist los? Glaubst du etwa an den ganzen Scheiß?“ Martin trat dicht an Ángel heran, so dicht wie damals, als er ihn an Valeries Garage gepresst hatte. Ángels Körper versteifte sich augenblicklich, doch Martins Finger griffen nur nach der Kette um seinen Hals. Langsam zog er das Kruzifix hervor. „Dann ist dies hier nicht nur Schmuck? Das ist deine Überzeugung?“
    Ángels Stimme klang rau. „Ja, das ist mein Glaube.“ Fast wäre er zurückgewichen, doch dieses Mal spürte er, dass keine Bedrohung von Martin ausging. Sein Gesicht wirkte eher interessiert. Auf seiner sonst so glatten Stirn waren einige Falten zu erkennen.
    Aus irgendeinem Grund wollte Ángel, dass Martin ihn verstand. Warum, konnte er selber nicht genau sagen. Er wollte jedoch auf keinen Fall, dass Martin etwas Falsches von ihm dachte, sich im schlimmsten Fall einfach umdrehen und gehen würde. Er wollte, dass Martin blieb. Ihm zuhörte.

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