Engelsgesang
erzähle …“
„Worüber soll ich lachen? Ich verstehe kein Wort!“ Martin sah ihn an und versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. „Wovon redest du überhaupt?“
Ángel scharrte mit der Fußspitze auf dem Boden herum. „Sollte es nicht irgendwie romantischer und … und intimer sein …“, flüsterte er und setzte die nächsten Worte schnell nach, so als hoffe er, Martin würde sie nicht verstehen. „… beim ersten Mal.“
Martin blieb einige Sekunden still, als glaubte er seinen Ohren nicht zu trauen. „Wie? Das war dein erstes Mal?“
Ángel starrte weiterhin zu Boden.
„Dein erstes Mal Sex?“
Zaghaft nickte Ángel. „Bis auf das vorher, im Kino. Aber das war ja …“ Wieder verstummte er.
„Du Glückspilz.“ Martin lachte erleichtert auf. „So was haben sicher noch nicht viele beim ersten Mal erlebt. Ich wäre froh, wenn das bei mir so gewesen wäre.“
„Verarsch mich nicht.“ Ángels Stimme nahm einen missmutigen Tonfall an.
„Ich will dich nicht verarschen. Weißt du, nicht bei allen läuft es so glatt, wie bei dir heute. Meistens ist das erste Mal doch voll Scheiße. Soll ich dir mal was erzählen, worüber du garantiert nicht lachen wirst?“ Martin setzte sich wieder in Bewegung. Sein Gesicht war ernst, als er zu reden begann. Es schien, als redete er zu sich selbst:
„Ich war sechzehn, sie war vier Jahre älter. Wir waren bei ihr zu Hause. Ich war richtig scharf. Du weißt schon, kurz vor dem Abspritzen. Als sie meine Hose öffnete, war es auch schon zu spät. Ich hatte mein Pulver verschossen, bevor es richtig losging. Sie sagte, dass dies gar nicht schlimm sei und wir noch die ganze Nacht Zeit hätten. Aber ich bekam ihn nicht mehr hoch, obwohl alles perfekt war: die Frau war wirklich heiß, aber egal was sie tat, und glaub mir, sie tat wirklich alles, ich bekam einfach keinen Ständer mehr. Mit jedem gescheiterten Versuch wurde sie ungeduldiger. Sie versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber ich spürte es. Gegen Morgen habe ich mich dann verabschiedet, und dann kam das Allerschlimmste. Sie sagte: ‚Mach dir nichts draus, ich hatte eh gesehen, dass du mehr auf deinesgleichen stehst.’ Verstehst du? Sie dachte, ich wäre schwul. Verdammt! Ich bin doch nicht schwul! Seitdem habe ich’s bestimmt schon hundert Schlampen besorgt, und nie ist mir so was noch einmal passiert.“ Martin blies sich verächtlich das Haar aus dem Gesicht.
Ángel hatte seinen Redefluss kein einziges Mal unterbrochen. Nur eine Frage, eine winzige Mitleidsbekundung hätte ausgereicht und Martins Redefluss wäre versiegen. Das spürte er genau so, wie er den ungewöhnlich warmen Wind auf seinem Gesicht spürte. Er war erschrocken, wie offen dieser harte, verschlossene Typ über sein erstes Mal redete. Immer öfter blieb sein Blick an Martins bleichem Gesicht hängen, versuchte den Vorhang aus dunklen Haaren zu durchdringen, einen Blick auf die sich bewegenden Lippen zu erhaschen. Dass sie stehen geblieben waren und er Martin jetzt frontal gegenüber stand und ihm mitten ins Gesicht starrte, nahm er erst nach einigen Sekunden wahr.
„So, jetzt kennst du meine Story, genau so, wie ich deine kenne. Falls du Angst hattest, dass ich dich bloßstellen könnte, hast du jetzt genau so viel gegen mich in der Hand, wie ich gegen dich. Ich denke, wir sind quitt.“ Martins Blick war finster auf ihn gerichtet, tiefstes Mitternachtsblau.
„Das war nicht meine Sorge… wirklich nicht.“ Ángel schaute schnell zur Seite. Er konnte diesen Augen nicht standhalten. Es war, als wollten sie ihn hypnotisieren, ihn wieder in diesen Strudel aus Leidenschaft und erschreckender, noch nie erlebter Gier stürzten.
„Was war es dann?“
Die Frage riss Ángel aus seinen Gedanken und er konnte im ersten Moment nichts mit ihr anfangen. Was hatte er gerade noch gesagt? Was wollte Martin von ihm wissen? Er war ratlos und hatte den Faden ihres Gespräches völlig verloren. Ein blödsinniges „Hä?“ rutschte ihm heraus, für das er sich augenblicklich hätte ohrfeigen können.
„So eine einzigartige Nacht, mit Alk, Drogen und Sex kann einen schon ziemlich durcheinander bringen“, grinste Martin. „Das geht mir auch immer so. Komm, ich zeig dir einen meiner Lieblingsplätze, da können wir uns ein bisschen ausruhen. Wir sind ganz in der Nähe. Dort bin ich am liebsten, wenn ich allein sein will und nachdenken muss.“ Er wies über die Straße, auf eine dunkelrote Backsteinmauer. „Wir müssen nur einen etwas
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