Engelsgesang
auch er konnte nicht mehr an sich halten.
„Ich soll dir übrigens eine Nachricht von Professor Endele überbringen, Ángel“, platzte es aus ihm heraus. „Er hätte es dir schon früher sagen können, aber er wollte nicht, dass noch irgendetwas schief geht. Als du bei der Stipendiumsveranstaltung vorgesungen hast, ging ein Zettel durch die Reihe der Jurymitglieder, den der Vorsitzende geschrieben hatte. Und weißt du, was darauf stand?“
Hier setzte Wolfgang eine dramaturgische Pause. Die Augenpaare seiner beiden Gesprächspartner hingen an seinen Lippen und es schien, als würde er Ángels Nervosität genießen.
„Und? Was stand drauf?“, unterbrach Martin unwirsch die Stille.
„Ähm … auf dem Zettel stand: ‚Das ist er!’ Verstehst ihr? Das Urteil war schon am Tag des Vorsingens besiegelt.“
„Ich hab’s doch gewusst“, rief Martin und winkte einen Kellner heran, dem er zwei Sektgläser abnahm. „Lasst uns auf Angel trinken! Auf dich, Angel, und auf deinen Erfolg. Ich wusste, dass du es schaffst.“
„Auf dich, Angel“, fügte auch Wolfgang mit einem strahlenden Lächeln hinzu. „Ich habe immer an dich geglaubt.“
„Und, was bedeutet das jetzt?“, fragte Martin. „Bekommt er jetzt das Stipendium?“
„Das Stipendium und eine monatliche Zuzahlung. Er muss nur noch sein Zeugnis abgeben. Darum hat dich Professor Endele ja schon einige Male gebeten.“
„Na dann“, sagte Martin, an Ángel gewandt. „Herzlichen Glückwunsch, Meistersinger. Her mit deinen Zeugnissen.“
Eine dunkle Wolke überschattete Ángels Gesicht. „Die Zeugnisse sind bei meinem Vater.“
„Gut, Valerie hat vorhin erwähnt, dass sie deinen Vater heute hier erwartet“, sagte Martin und sah sich um. „Dann kannst du ihn ja gleich die frohe Nachricht überbringen.“
„Was?“ Ángels Stimme schrillte durch den Raum. „ER kommt hier her? Ich muss sofort weg! Ich will ihn auf keinen Fall sehen!“
„Beruhige dich. Was ist denn so schlimm, deinen Vater zu treffen?“
„Du kennst ihn nicht. Es wird ihn nicht interessieren, dass ich ein Stipendium bekomme. So wie ich ihn kenne, wird er mein Zeugnis, nur um mir zu schaden, verbrennen …“
„Ach, übertreib mal nicht.“ Beruhigend legte Martin ihm einen Arm um die Schultern.
„Ich übertreibe nicht!“ Ángels Augen tasteten voller Panik das Publikum ab. Martin sah erst Ángel, dann Wolfgang verwundert an. Dieser zuckte nur ratlos mit den Schultern.
„Keine Sorge. Ich kümmere mich um dein Zeugnis. Verstanden?“
Ángel sah Martin mit großen Augen an. Er wirkte dadurch wie ein Fünfjähriger, der ein Märchen erzählt bekam und an den guten Ausgang glauben wollte. „Das würdest du für mich tun?“
„Ja, sicher, kein Problem“, antwortete Martin. Sein Blick fiel auf Valerie, die am anderen Ende des Raumes stand und ihm hektisch zuwinkte. „Ich muss kurz weg, die Pflicht ruft. Valerie braucht ein paar Statisten für ihren großen Auftritt. Bleib bei Wolfgang, der kümmert sich um dich und sorgt dafür, dass dein Vater dir nicht zu nahe kommt. Nicht wahr?“ Er warf Wolfgang einen drohenden Blick zu, der ihm eindeutig riet, keine Fehler zu machen.
Wolfgang schnappte nach Luft. Doch bevor er etwas entgegnen konnte, drehte Martin sich um und lief zu Valerie, um die sich schon einige Journalisten scharten.
„Ich bin für dich da“, sagte Wolfgang und tätschelte Ángels Arm. „Und wenn dein Vater dir dein Zeugnis nicht geben will, kann ich es genau so gut für dich besorgen. Da geb’ ich dir mein Ehrenwort!“
53.
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„Wo bleibst du denn?“, zischte Valerie Martin verärgert entgegen. „Halte dich an Mark, ihm habe ich schon Instruktionen gegeben.“
Sie wies auf einen südländischen jungen Mann, der mit freiem Oberkörper im Hintergrund stand und die Arme ausgebreitet hielt, so als wäre er an ein unsichtbares Kreuz geschlagen. Geistesgegenwärtig zog Martin sein Jackett und sein Hemd aus.
„Valerie, du sagtest doch, dass van Campen heute anwesend ist. Kannst du ihn mir vielleicht zeigen?“
Valerie schnaufte verärgert. „Ja, sicher kann ich das. Siehst du die Horde Fotografen dort? Das ist van Campen. Ich wollte, dass er zur Show beiträgt, aber nicht, dass er sie mir stiehlt.“ Sie winkte einen Techniker heran, der ihr ein Mikrofon herüberreichte, das jedoch sofort durch eine Rückkopplung misstönende Klänge von sich gab.
„Bringen Sie das in Ordnung“, schimpfte Valerie, während sich Martin streckte, um einen
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