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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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er Wolfgang je wieder als einen normalen Freund sehen können? Würde er mit ihm überhaupt noch allein in einem Zimmer übernachten wollen? Das Gesicht, das ihm aus dem Spiegel entgegensah, konnte ihm keine Antwort geben. Ebenmäßig und schön sah es ihm entgegen.
    „Alles nur wegen dir!“, zischte er. „Verdammt, kannst du nicht hässlich sein?“
    „Nein, kannst du nicht, du bist von meinem Blut, und Hässlichkeit liegt mir fern.“ Die tiefe Stimme, die aus Richtung Tür erklang, ließ ihn zusammenzucken. Sein Blick begegnete grün-braunen Augen, die trotz ihrer Ähnlichkeit, nicht die seinen waren.
    „Ich freu mich, dich zu sehen, Sohn.“ Der große blonde Mann trat ein, zog mit einer kräftigen Bewegung den schweren Mülleimer heran und blockierte damit die Tür. „Täusche ich mich, oder ist die Freude nur auf meiner Seite?“
    Ángel wich zurück, Schritt für Schritt, bis er die kalte Wand hinter sich spürte. Die Kraft, die ihn gerade noch aufrecht gehalten hatte, floss wie Wasser aus seinem Körper und ließ seine Glieder schwach und zittrig werden.
    „Vater …“
    „Ah, du kennst mich also noch?“ Langsam kam Gabriel van Campen auf seinen Sohn zu. „Ich habe dich vermisst. Genauso wie deine Schwester.“
    „Maria! Wie geht es ihr?“
    Gabriel schnaufte abfällig. „Wie es ihr geht? Weißt du, sie hat es nicht ertragen können, deine Stelle einzunehmen. Deine kleine, süße Schwester. Es tut mir ehrlich leid um Maria. Sie war nicht so feige wie du. Sie hat sich nicht bei Nacht und Nebel davongeschlichen. Maria ist geblieben, stumm und charaktervoll. Völlig anders als DU.“
    „Wo ist sie?“ Ángels Augen irrten zur Tür.
    „Wo sie ist, wagst du zu fragen?“, brüllte Gabriel und genoss die Angst, die sich in dem Gesicht seines Sohnes abzeichnete. „Du hast sie geliebt, nicht wahr?“
    Ángel fiel in seiner Bestürzung gar nicht die Vergangenheitsform auf, in der sein Vater den Satz formulierte. „Ja, natürlich.“ Seine Antwort war nur ein Hauch.
    „Dann hättest du bleiben müssen, denn nur wegen DIR ist sie TOT!“, schrie Gabriel. Seine Augen fixierten seinen Sohn, der wie ein Häufchen Elend an der Wand lehnte, saugten jede seiner Regungen auf.
    „Tot? … aber wie? … wieso?“
    „DU hättest nicht gehen dürfen! DU wusstest genau, was passieren wird, wenn du nicht mehr da bist. Es ist allein DEINE Schuld! Ich hätte ihr nie etwas angetan, wenn DU geblieben wärst. Ich wollte DICH, nicht sie! Ich kann nichts dafür. Ich bin ein impulsiver Mensch. Es ist nun mal mein Wesen, das kann ich nicht ändern, das wusste deine schwache Mutter und das wusstest DU. Wegen dir ist sie tot, nur wegen dir!“
    Ángel hörte ein Schluchzen. Irgendjemand weinte. Als er sich über das Gesicht wischte, war sein Handrücken nass von Tränen. „Nein … das darf nicht sein.“
    „Es ist aber so. Ich kann dir genau erzählen, wie es passiert ist. Sie hat Selbstmord begangen. Verstehst du? Weil du feige abgehauen bist und sie allein gelassen hast, ist sie schwanger geworden. DU bist schuld, nur DU! Was war denn so schlimm an dem, was ich von dir wollte?“ Er packte Ángel am Kragen und zog ihn wie eine Puppe zu sich heran. „Was ist denn so schlimm daran, seinen Vater zu ehren und ihn zu lieben, hä? Du bist ein Junge, dir wär’ nichts passiert. Du hättest es ertragen müssen, für deine Schwester. Du wärst nicht schwanger geworden, DU NICHT“, brüllte er ihm ins Gesicht. „Ich hätte dich schon am ersten Abend einreiten sollen. Aber ich hatte Mitleid mit dir, konnte dein Gewinsel und Gejammer nicht ertragen.“ Mit seinem schweren Körper drückte er Ángel gegen die Waschbecken. „Du wirst heute mit nach Hause kommen“, keuchte er ihm ins Ohr. „Du wirst deine Schuld sühnen, Tag für Tag. Ich werde dafür sorgen, mein Schöner. Ich werde dich auseinandernehmen …“ Mit einem Ruck riss er ihm die Hose auf und zerrte an seiner Kleidung. „…und ich werde jetzt und hier damit beginnen. Du wirst den Tag verfluchen, an dem du wie eine Ratte aus deinem Zimmer geklettert bist. Ich werde dich …“ Die restlichen Worte gingen in einem unverständlichen Keuchen unter.

56.
    56.
     
    Wolfgang fühlte sich schlecht. Es war nicht nur wegen dem, was er gesagt hatte. Es war auch nicht nur wegen Ángels Reaktion. Ein Gefühl in ihm sagte, dass irgendwas ganz und gar nicht stimmte. Ángel hätte schon längst wieder zurück sein müssen. Er hatte den Durchgang zu den Toiletten im Auge

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