Engelsgesang
behalten und wusste dadurch, dass sich Ángel noch dort befand. Doch wo blieb er?
Außerdem wurde seine Zeit knapp. Er musste mit Ángel sprechen, bevor dieser Martin sich wieder dazwischen mischen konnte.
Schnell ließ er sich vom Barhocker gleiten. Er würde Ángel sagen, dass er ihn verstand und ihm alle Freiheiten lassen würde. Er musste keine monogame Beziehung mit ihm führen. Es würde ihm schon reichen, ihn einfach nur in seiner Nähe zu wissen, sein Vertrauen zu genießen …
Wolfgang hielt inne, als er vor der Herrentoilette ankam. Die Geräusche, die durch die geschlossene Tür zu ihm hinausdrangen, ließen ein süffisantes Lächeln über sein Gesicht gleiten. Es klang nach Sex. Das Keuchen, die unterdrückten Schreie und die rhythmischen Laute weckten in ihm die Assoziation von harten, kompromisslosen Sex.
Das Lächeln auf seinem Gesicht erlosch sofort wieder, als er sich daran erinnerte, wer sich hinter dieser Tür befinden musste.
Er drückte die Klinke herunter und stemmte sich gegen die Tür, als sich diese keinen Zentimeter bewegen wollte. Angst kroch ihm, wie kalte Finger, den Nacken hinauf. Dieser Martin stand noch immer, für alle sichtbar, in der Halle, wer zum Teufel befand sich außer Ángel noch hinter der Tür? Angst ergriff sein Herz, Angst um eine Person, die er über alles liebte …
Er nahm Anlauf und schlug krachend mit seiner mageren Schulter gegen das Holz. Beim fünften Anlauf gab die Tür nach. Hals über Kopf stürzte er in den weiß gefliesten Raum. Mit einem schnellen Blick nahm er alles, wie durch grelles Blitzlicht erleuchtet, in sich auf und wusste schon in diesem Moment, dass er es nie wieder aus seinem Kopf würde löschen können. Bis in seine tiefsten Albträume würden ihn die Bilder verfolgen. Die Eindrücke brandeten auf ihn ein, drehten sich wie ein Karussell in seinem Kopf und schlugen ihm auf den Magen. Im ersten Moment wusste er sie nicht mal richtig einzuordnen.
Ángel lag zusammengekauert am Boden. Er lief zu ihm hin und zog ihm notdürftig die zerrissene Kleidung zu recht.
„Was ist passiert?“, stotterte er.
„Nichts ist passiert! Sind Sie ein barmherziger Samariter, oder was?“ Seelenruhig stand ein Mann am Spiegel und zog sich gelassen seinen Gürtel fest. „Verschwinden Sie oder gehen Sie kacken, mir egal, aber lassen Sie uns in Ruhe!“ Mit einer lässigen Geste strich er sich eine seiner blonden Locken aus der Stirn, die denen Ángels zum Verwechseln ähnelten.
So, schoss es Wolfgang durch den Kopf, würde Ángel in etwa vierzig Jahren aussehen. Genau so, nur ohne den grausamen Zug um den Mund.
„Das wäre geschafft, Sohn. Wenn du mich fragst, war das schon viel eher mal nötig gewesen!“ Gabriel sah genervt zu seinem Sohn herunter. „Steh auf, und komm“, sagte er in einem herrischen Ton.
Ángel schüttelte apathisch den Kopf und starrte aus schmerzerfüllten schwarzen Augen zu seinem Vater auf.
„Ich sage es nur noch einmal. DU KOMMST JETZT MIT NACH HAUSE!“
„Niemals! Lieber sterbe ich!“
„Ach, du auch? Mach keine Scherze. Es stirbt sich nicht so leicht, wie man im Allgemeinen denkt.“ Gabriel trat an seinen Sohn heran, beugte sich nach vorn und sah im in die Augen. „Soll ich dir erzählen, wie sie gestorben ist … wie sie leiden musste … Soll ich dir alles in jeder einzelnen Kleinigkeit erzählen?“
Wolfgang löste sich aus der Starre, in die er verfallen war. „Lassen Sie Angel in Ruhe … ich … ich rufe sonst die Polizei!“
Ohne Wolfgang auch nur zu beachten, sagte Gabriel immer noch an Ángel gerichtet: „Ist das dein Sugardaddy, oder was? Sind wir jetzt schon so weit? Ich wusste doch, dass es in dir steckt … ich habe es gerochen.“ Dabei tippte er sich an die Nase.
„Komm, Angel, steh auf“, Wolfgang zog ihn auf die Beine. „Wir müssen hier raus, weg von dem Wahnsinnigen.“
Gabriel van Campen stellte sich vor die Tür. „Wie gedenkt der kleine Mann denn an mir vorbeizukommen?“ Auf seinem Gesicht lag ein belustigter Ausdruck.
Wolfgang trat von einem Bein aufs andere. Die Angst strömte aus jeder seiner Poren und schuf eine Aura von Unsicherheit um ihn herum. Trotzdem schob er Ángel hinter sich und deckte ihn mit seinem schmächtigen Körper ab.
Belustigt nahm van Campen dies zu Kenntnis. „Ich mache dir einen Vorschlag, Sugardaddy. Du verrätst mir, was du beruflich machst, und ich lasse meinen lieben Sohn fürs Erste in Ruhe.“
„Wolfgang“, schluchzte Ángel. Seine Stimme klang, als
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