Engelsgrab
fühlte er sich Rubenfeld gegenüber im Nachteil, denn der war ihm meistens einen Schritt voraus. Stumm sah er zu, wie er sein Glas ansetzte und in einem Zug leerte.
»Mann, das hat gutgetan«, erklärte Rubenfeld zufrieden. »Jetzt zum Geschäft.« Er beugte sich zu Brady vor. »Ich will wissen, was wirklich passiert ist. Das übliche Drumherumgerede können Sie sich schenken, Jack.«
»Und was springt dabei für mich raus?«
Mit blutunterlaufenen Augen starrte Rubenfeld ihn an.
Dann beugte er sich noch weiter vor und flüsterte: »Jimmy.«
Es kostete Brady alle Kraft, ruhig sitzen zu bleiben. Am liebsten hätte er sich Rubenfelds fetten Hals geschnappt und alles, was er wusste, aus ihm herausgeschüttelt.
»Also raus mit der Sprache.« Rubenfeld lehnte sich zurück.
»Wir haben ein Mordopfer«, begann Brady.« »Ein Mädchen, das heute in den frühen Morgenstunden gefunden wurde.«
»Weiß ich alles«, winkte Rubenfeld gelangweilt ab. »Deshalb bitte noch mal von vorn.«
Brady zuckte mit den Schultern und entschied, Rubenfeld noch für eine Weile schmoren zu lassen.
»Wie Sie wollen.« Rubenfeld stand auf und griff nach seinem speckigen Regenmantel.
Den Regenmantel trug er zu jedem Anlass und bei jedem Wetter. Brady hätte sich wahrscheinlich Sorgen gemacht, wenn er ihn jemals ohne gesehen hätte. Darunter verbarg sich der ewig gleiche schwarze Leinenanzug, ebenso abgewetzt und reif für die Reinigung wie der Mantel. Aber Rubenfeld stammte ja auch aus dem Süden. Im Nordosten dagegen war man abgehärtet. Da trug man nicht ständig Regenkleidung, denn sonst wären sie in dem immerwährenden Nieselregen und der Kälte allesamt in Einheitskleidung herumgelaufen.
Auf den Treibhauseffekt wartete Brady schon seit Jahren.
»Setzen Sie sich wieder«, bat er den Reporter widerwillig. »Aber erzählen Sie mir keine Märchen.«
Rubenfeld ließ sich zurück auf den Stuhl fallen.
Brady suchte den Blick des Barmanns und deutete auf das leere Whiskyglas. »Dasselbe noch mal.«
Dann gab er sich einen Ruck. »Also schön, die Ermordete ist noch ein Kind.« Rubenfeld zog seine dichten schwarzen Brauen hoch.
»Genau genommen ein fünfzehnjähriges Schulmädchen. Sie wurde eben identifiziert.« Der Barmann kam, und Brady verstummte.
Innerlich stöhnend reichte er ihm den nächsten Zehner. »Der Rest ist für Sie.«
Rubenfeld kippte den zweiten Whisky ebenso schnell wie den ersten, wischte sich über den Mund und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Brady.
»Todesursache?«, fragte er.
»Wir warten noch auf die Ergebnisse der Autopsie.«
»Verdächtige?«
»Dazu ist es noch zu früh.«
»Woher kommt sie?«
»Von hier. Aus West Monkseaton. Der Mord wurde in der Nähe ihres Elternhauses verübt.«
»Und der Name des Mädchens?«
Brady zögerte, dachte an das, was er erfahren wollte und wie viel es ihm wert war.
»Sophie Washington«, bekannte er so leise, dass der andere es kaum hören konnte. Aber Rubenfeld hatte ein ausgezeichnetes Gehör.
Nachdenklich kratzte er sich sein stachliges Kinn.
»In dem Fall möchte ich nicht in Ihren Schuhen stecken«, erklärte er schließlich. »Oder in denen von Jimmy Matthews.«
»Was hat denn der damit zu tun?«, fragte Brady.
»Genau das möchte ich gern wissen«, entgegnete Rubenfeld. »Ihr Freund ist Madley ins Gehege gekommen. Und Madley soll sauer sein wie selten zuvor.«
»Und was soll Jimmy ihm getan haben?«
Ein eisiges Gefühl kroch Brady über den Rücken, doch er gab sich noch immer so gelassen wie möglich.
Rubenfeld schüttelte den Kopf.
»Rubenfeld«, begann Brady drohend. »Wenn Sie vorhaben, mich hier zu verscheißern –«
»Das habe ich noch nie getan«, fiel Rubenfeld ihm entrüstet ins Wort und fuhr sich nervös durch das strähnige dunkle Haar. »Aber Sie wissen, wozu Madley fähig ist. Meinen Sie, bei so jemandem will ich auf der schwarzen Liste landen?«
Rubenfeld warf einen Blick auf seine Uhr. »Wenn ich die Abendausgabe schaffen will, muss ich los.« Mit zusammengekniffenen Augen sah er Brady an. »Wo steckt Jimmy Matthews überhaupt? Warum ist er nicht mit dem Fall betraut? Sie sind doch noch gar nicht richtig in Schuss.«
»Er hat was anderes zu tun.«
Rubenfeld nahm ihm das nicht ab.
»Ich gebe Ihnen einen Rat, Jack. Lassen Sie sich da nicht hineinziehen. Nicht, wenn es um Madley geht«, warnte Rubenfeld und erhob sich.
Zu spät, dachte Brady. Ich bin schon mittendrin.
Kapitel 19
Mit gesenktem Kopf bahnte Brady sich einen
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