Engelsgrab
will?«
Noch vor einem halben Jahr hätte Brady das gewusst, doch in den letzten sechs Monaten hatte er auch mit Matthews kein einziges Mal gesprochen.
»Warum fragst du mich das? Du kennst ihn doch tausendmal besser als ich. Und überhaupt, wo wird er wohl sein, wenn nicht zu Hause bei seiner Familie?«
»Wer ist die Frau?«, fragte Brady leise und entfernte sich noch ein Stück weiter von der Menschenmenge.
»Irgendeine Nutte, die er sich vor ein paar Wochen im Blue Lagoon angelacht hat.«
Klar, dachte Brady. Wo sonst? Vor seiner Schussverletzung waren er und Matthews dort Stammgäste gewesen, hatten die Augen offen gehalten und ein paar Gläser getrunken. Ab und zu war Madley erschienen und hatte ihnen eine Runde spendiert, die sie ohne mit der Wimper zu zucken angenommen hatten.
»Du weißt nicht zufällig, wo sie wohnt?«
»Machst du Witze? Jimmy hat mir noch nie erzählt, wo er seine Nutten besucht. Ich weiß nur, dass sie blond war, mit den größten Möpsen, die ich jemals gesehen habe. Kann sein, dass ihr Name Tania war, aber das ist auch schon alles.«
Brady seufzte innerlich.
»Jimmy steckt doch nicht in Schwierigkeiten, oder?«, wollte Harvey wissen.
»Ach was. Jimmy geht es gut. Hat nur ein paar Probleme zu Hause. Ich nehme an, seine Frau hat die Nase voll von seinen Mätzchen.«
»Das wurde aber auch Zeit. Weißt du noch, als er die heiße Krankenschwester hatte? Von der hat er sich damals einen Tripper geholt und an seine Frau weitergegeben. Und dann gehen die beiden ins Krankenhaus und werden von genau der blöden Kuh beraten, die Jimmy den Tripper angehängt hat.«
»Ja, so ist das mit Jimmy.«
»Jimmy ist trotzdem ein feiner Kerl«, betonte Harvey.
»Klar ist er das. Und sobald du etwas über irgendwelche Freunde von Sophie herausfindest, lass es mich wissen«, meinte Brady abschließend. »Und nimm Dr. Jenkins mit. Sie wird bei der Befragung der Kids besser erkennen, ob sie mit etwas hinterm Berg halten oder nicht.«
»Nichts lieber als das«, entgegnete Harvey.
»Benimm dich nicht wie ein Idiot«, warnte Brady. »Und mach dich bloß nicht an sie ran.«
»Sieh einer an. Wir haben schon gewettet, ob du sie flachlegst oder nicht. Was bist du nur für ein Tiger, Jack Brady.«
»Du hast doch einen Schaden«, erwiderte Brady und beendete das Gespräch.
Verärgert warf er seinen Zigarettenstummel auf den Boden und machte sich auf den Rückweg zu dem Eingangstor.
Aus der Menge löste sich eine abgerissene kleine Gestalt und kam auf ihn zu. Brady erkannte das teigige Gesicht von Rubenfeld.
»Jack Brady«, rief Rubenfeld mit der tiefen, heiseren Stimme eines Trinkers. »Die Kacke muss ja ganz schön am Dampfen sein, wenn Sie vorzeitig zurückbeordert wurden.«
Brady lächelte gequält.
Solange Brady denken konnte, hatte Rubenfeld für The Northern Echo geschrieben. Sie war die meist gelesene Zeitung im Nordosten, was sie nicht zuletzt Rubenfeld verdankte, denn wenn es irgendwo eine Story gab, war er der Erste, der sie entdeckte. Wie er das schaffte, war Brady schleierhaft, aber der Typ hatte offenbar den richtigen Riecher und ein nahezu unheimliches Geschick, überall da aufzutauchen, wo er am wenigsten erwünscht war. Doch wenn er ehrlich war, wusste Brady, er brauchte den Zeitungsmann ebenso wie der ihn.
»Was wollen Sie?«, fragte er kurz angebunden.
»Es geht nicht um das, was ich will«, grinste Rubenfeld und entblößte eine Reihe kleiner, spitzer Zähne. Dann musterte er Brady und strich sich über seine Bartstoppeln.
»Sondern um das, was ich vielleicht für Sie habe.« Rubenfeld zündete sich eine Zigarette an.
Brady war schon im Begriff weiterzulaufen, doch dann besann er sich anders.
»Kommen Sie«, forderte er Rubenfeld auf. »Lassen Sie uns irgendwo in Ruhe reden.«
»Einen Kaffee, schwarz, und …« Fragend drehte Brady sich zu Rubenfeld um.
»Einen doppelten Scotch«, grunzte Rubenfeld. Brady hob die Brauen. »Tun Sie nicht so scheinheilig«, sagte Rubenfeld. »Außerdem ist es schon nach Mittag.«
Mit einem Seufzer reichte Brady dem Barmann einen Zehner. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Putzfrau mit gebleichtem Haar wahr, die ihn vom anderen Ende des Raumes her beobachtete. Im Geist notierte er sich, die Gäste befragen zu lassen, die am Vorabend in dem Pub gewesen waren. Der Beacon lag nur fünf Fußminuten vom Tatort entfernt.
Brady trug den Kaffee und den Whisky zu dem Tisch, an dem Rubenfeld saß, und ließ sich ihm gegenüber nieder.
Wie jedes Mal
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