Engelsgrab
Brady freundlich lächelnd. »Fast hätte ich dich nicht wiedererkannt.«
»Der gute Onkel Jack«, sagte Evie abfällig. »Wenn er nur wüsste, wie viele Dinge sich verändert haben.«
Sie hasst mich, dachte Brady verwundert.
»Warum bist du nicht mit Tante Claudia gekommen?«
Ob es das war, überlegte er. Hatte Evie von seinem Seitensprung erfahren?
»Ach, richtig«, fuhr Evie fort. »Sie hat dich ja verlassen. Hat wahrscheinlich kapiert, dass du die Hände nicht von meiner Mutter lässt.«
»Das reicht jetzt«, sagte Kate. »Du führst dich einfach unmöglich auf.«
Evie drehte sich zu ihr um. »Nein, du führst dich unmöglich auf. Meinst du, ich habe keine Augen im Kopf?«
»Ich verbiete dir, so mit mir zu sprechen«, entgegnete Kate aufgebracht und warf Brady einen betretenen Blick zu. »Du hast etwas gesehen und missverstanden.«
»Ach ja? Wie oft kommt er denn vorbei, wenn ich in der Schule bin und Dad bei der Arbeit ist?«
»Das geht jetzt wirklich zu weit«, rief Kate. »Bitte entschuldige dich bei Jack, und zwar auf der Stelle.« Hektische rote Flecken erschienen auf ihren Wangen.
»Warum denn? Du bist kein bisschen besser als Dad. Wenn du mich fragst, habt ihr euch regelrecht verdient.«
Brady war peinlich berührt, denn mit einem Mal begriff er, weshalb Evie ihn hasste. Sie hatte ihre Mutter zum zweiten Mal in seinen Armen entdeckt. Das erste Mal war er spätabends erschienen. Kate hatte jemanden zum Reden gebraucht, weil Jimmy wieder einmal eine seiner zahlreichen Affären hatte.
Schon als er eintraf, war Kate betrunken und hatte ihn plötzlich geküsst, ohne zu sehen, dass Evie aufgewacht war und noch ganz verschlafen hinter ihnen stand. Es war ein Kuss voller Reue über ihre verlorenen gemeinsamen Jahre gewesen. Brady hatte den Kuss nicht erwidert, teils aus Treue Claudia gegenüber, teils aus Loyalität gegenüber seinem Freund.
Seit der Zeit hatte Brady Kate gemieden, aus Furcht, sich eines Tages doch bei ihr zu vergessen.
Evie schob ihren Stuhl zurück und stand auf. Nach einem verächtlichen Blick auf Brady verließ sie die Küche.
»Evie!«, rief Kate. »Was fällt dir ein? Du kommst sofort zurück!«
Keine Antwort.
»Jack muss mit dir reden! Es ist wegen –« Kate brach ab.
Mit gereizter Miene kehrte Evie zurück. »Wegen was?«
»Ich möchte mir dir über Sophie reden«, sagte Brady.
Evie wurde blass, als sie von ihrer verzweifelten Mutter zu Brady blickte, dessen Miene nichts Gutes verhieß.
Kapitel 25
»Hör auf! Hör auf!«, schrie Evie.
»Bitte, Evie«, beharrte Brady. »Ich muss wissen, wer Sophie so etwas angetan haben könnte.«
Kate packte Bradys Arm.
»Herrgott noch mal, Jack, lass sie zufrieden. Sie hat dir doch schon gesagt, dass sie nichts weiß.«
Brady wandte sich wieder an Evie.
»Evie, hast du begriffen, wie wichtig das ist? Sophie ist etwas Entsetzliches passiert. Irgendeiner hat ihr wehgetan, sehr sogar, und ich muss herausfinden, wer es war.«
Evie schaute zu Boden. Brady konnte nicht glauben, dass sie sich weigerte, mit ihm zu reden. Seinen Fragen war sie sämtlich ausgewichen. Hier und da hatte sie lediglich mit den Schultern gezuckt oder ihr iPhone hervorgeholt und SMS-Nachrichten eingetippt. Dass sie auf diese Weise auf den Mord an ihrer besten Freundin reagierte, konnte Brady nicht verstehen.
Als Evie wieder zu ihm aufsah, erschrak Brady angesichts der Bosheit in ihren Augen.
»Jack, lass es gut sein«, bat Kate.
Deine Tochter ist ein verzogenes, selbstsüchtiges Gör, dachte Brady. Am liebsten hätte er Evies Schultern gepackt und sie so lange geschüttelt, bis sie endlich begriffen hätte, was ihrer angeblich besten Freundin zugestoßen war.
»Du musst doch etwas wissen, Evie«, versuchte er es noch einmal. »Ich denke, Sophie war deine beste Freundin.«
»Mum, sag ihm, dass er still sein soll. Bitte, ich kann das nicht mehr hören!« Evie ließ ihr iPhone fallen und presste sich die Hände auf die Ohren.
Hilflos sah Brady zu, wie sie erfolgreich ihn und Kate gegeneinander ausspielte.
»Raus! Verschwinde aus meinem Haus, und zwar schnell!«, schrie Kate und stand auf. »Ich meine es ernst, Jack. Raus hier, verdammt noch mal!«
Evie fing an zu schluchzen, so rau und herzzerreißend, dass Brady den Anflug eines schlechten Gewissens verspürte. Vielleicht war er nicht der Richtige, ein junges Mädchen zu befragen, dessen beste Freundin brutal ermordet worden war. Er hätte ihr nicht so zusetzen dürfen, schließlich war auch Evie
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