Engelsgrab
entgegen.
»Ich muss mich für ihn entschuldigen, aber Jack hatte ja noch nie gute Manieren. Ich bin Claudia Brady.«
Jenkins nahm ihre Hand. »Amelia Jenkins«, lächelte sie. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«
Claudia erwiderte ihr Lächeln. »Die Freude ist ganz meinerseits. Ich habe auch schon so einiges über Sie gehört.«
Dann drehte sie sich zu Brady um. »Lass mich bitte nicht so lange warten. Du hast mich schon mehr als genug vorgeführt.«
Brady beobachtete betreten, wie sie sich umdrehte und den Raum verließ.
»Warum sind Sie zurückgekommen?«, fragte er Jenkins unumwunden, denn zu Höflichkeitsfloskeln fehlte ihm die Kraft.
»Wegen Shane McGuire«, antwortete Jenkins und setzte sich.
Brady bemühte sich, seine Gedanken zu ordnen, aber es fiel ihm schwer. Die Begegnung mit Claudia hatte ihn zu sehr aus dem Gleichgewicht gebracht.
»Seine Mutter hat mich angerufen«, fuhr Jenkins fort und stockte. »Hören Sie mir überhaupt zu?«
Brady setzte sich gerade hin. »Natürlich. Und wie kommt Trina dazu?«
»An dem Abend im Sunken Ship habe ich ihr meine Karte gegeben und sie gebeten, mich anzurufen, falls Shane sich bei ihr meldet. Bei Adamson hätte Trina das ja wohl nicht mehr getan. Wie dem auch sei, sie hat mit mir gesprochen und gesagt, dass Shane über den Mord an Sophie Washington etwas weiß.«
»Und warum ist sie damit nicht zu mir gekommen?«
»Wahrscheinlich weil Sie Trina ebenso leichtfertig behandeln wie mich.«
Brady zuckte zusammen. Er und leichtfertig? Einen Moment lang wollte er aufbegehren, doch dann fand er, es sei der Mühe nicht wert. Wäre er leichtfertig, hätte er frühmorgens die Flasche Whisky mit Jenkins geleert und auf die Konsequenzen gepfiffen. Doch dann besann er sich. Er hatte sie ziehen lassen, weil sein Herz immer noch Claudia gehörte, denn sonst wäre er wohl doch noch schwach geworden – Jenkins war schließlich eine äußerst attraktive Frau.
»Gut«, sagte er. »Das lassen wir mal auf sich beruhen. Was hat Trina denn nun gesagt?«
»Interessiert Sie das wirklich?«
»Ja, selbstverständlich. Also?«
»Ich glaube, es ist besser, Sie sprechen selbst mit ihr. Oder mit Shane.« Jenkins stand auf.
»Meinetwegen auch das.« Brady griff nach seinem Mantel. »Oh Mist«, murmelte er.
Jenkins war schon an der Tür und drehte sich noch einmal um. »Passt es Ihnen jetzt nicht?«
»Doch, doch«, sagte Brady und dachte an Claudia. »In einer Minute bin ich bei Ihnen.«
»Wir treffen uns unten.« Jenkins verschwand.
Leise fluchend kramte Brady sein Handy hervor. Claudia würde vollends ausrasten, wenn er sie noch länger warten ließ, aber er hatte keine andere Wahl.
»Conrad«, sagte er, als dieser sich endlich meldete. »Ist Claudia bei Ihnen?«
»Nein, ich bin auf den Flur gegangen. Sie sitzt mit Ellison zusammen und wartet auf Sie.«
»Also Folgendes: Wir treffen uns vor dem Revier und fahren zum Krankenhaus. Shane McGuire weiß angeblich etwas über den Mord an Sophie. Und bitte, denken Sie sich für Claudia irgendeine Entschuldigung aus. Was Sie sagen, ist mir egal, Hauptsache, es klingt plausibel.«
»Das ist aber leichter gesagt als getan«, entgegnete Conrad unsicher.
»Ach, Ihnen fällt schon etwas ein. Und falls sie nachfragen sollte, mit der Frau, die sie gerade in meinem Büro getroffen hat, hat das nichts zu tun.«
»Welche Frau denn?«
»Amelia Jenkins. Den Rest erkläre ich Ihnen später.«
Brady steckte sein Handy ein, nahm seinen Mantel und fragte sich, ob das Leben anderer Menschen ebenso kompliziert war wie seins.
Kapitel 50
»Kann ich mich auch wirklich darauf verlassen?«, fragte Brady.
Shane nickte und legte sich erschöpft zurück.
Offenbar hatte Shanes Zustand sich eher verschlechtert als verbessert. Selbst jetzt, vierundzwanzig Stunden nach dem Überfall, war er noch an den Tropf angeschlossen, über den ihm Morphium verabreicht wurde. Brady war sicher, mit den Angreifern würden sich demnächst Shanes Onkel und Cousins befassen. Wahrscheinlich hätten sie es hingenommen, wenn Shane ein paar Knuffe und Ohrfeigen eingesteckt hätte, aber den Jungen krankenhausreif zu schlagen, ging über das Zumutbare hinaus.
Brady kannte die Regeln und akzeptierte sie. Zu ihnen gehörte auch, dass Shane hier nur inoffiziell mit ihm sprach. Es waren ohnehin Informationen aus zweiter Hand, die vor Gericht nie Bestand haben würden. An die Quelle würde er nicht gelangen, das hatte Shane mehrfach
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