Engelsgrab
bin auch nur ein Mensch.«
Brady tat sein Bestes, um seinen zynischen Kommentar für sich zu behalten. Das hatte er alles schon gehört. Männer wie Ellison hatte er schon zigmal vernommen, und eine Ausrede klang so abgedroschen wie die andere.
»Sie sah auch viel älter aus als fünfzehn, das erkennt man ja schon auf den Fotos. Und ich dachte, warum nicht? Sie will es, und ich habe nichts dagegen.«
Ellison blickte auf seine unruhigen Hände und fuhr fort.
»Jeder Mann hätte so reagiert.« Herausfordernd schaute er Brady an. »Auch Sie.«
»Der Meinung bin ich ganz und gar nicht«, entgegnete Brady. »Sophie war minderjährig und stand unter Ihrem Schutz. Sie haben eine Grenze überschritten und das nicht zum ersten Mal. Nur hätte es sich diesmal nicht vertuschen lassen, denn Sophie war nicht bereit, noch länger zu schweigen. Dazu kam, dass sie mehr von Ihnen wollte, als Sie gewillt waren zu geben. Und als sie begriffen und erkannt hatte, dass Sie sie nur ausgenutzt haben, da wollte sie Sie dafür büßen lassen. So war es doch, oder etwa nicht?«
»Überhaupt nicht. Aber ist doch auch egal, was ich sage. Sie würden es ja doch nicht verstehen.«
»Das muss ich auch nicht. Sprechen Sie trotzdem weiter.«
Ellisons Blick schweifte zu Conrad, der das Verhör mit regloser Miene und zusammengekniffenen Lippen verfolgte.
»Damit eins klar ist«, wandte Ellison sich wieder an Brady. »Ich habe sie nie zu etwas gezwungen. Sophie hat alles aus freien Stücken getan. Das würde sie selbst bezeugen.«
»Sophie kann nichts mehr bezeugen«, entgegnete Brady. »Wir haben nur Ihr Wort.«
»Herrgott noch mal.« Ellison warf die Hände hoch. »Ich habe sie nicht umgebracht. Wie oft soll ich das denn noch schwören?«
»Dann erzählen Sie uns, was in der Mordnacht geschehen ist.«
»Das Übliche«, antwortete Ellison. »Wir haben uns im Beacon getroffen und ein bisschen was getrunken. Sophie hat wieder damit angefangen, dass ich unsere Beziehung offiziell machen sollte. Ich habe ihr wie immer erklärt, dass ich dann meinen Job verlieren würde oder sogar ins Gefängnis müsste. Aber davon wollte sie nichts hören.«
»Natürlich nicht«, sagte Brady. »Mit fünfzehn glaubt man noch, dass die Liebe alles besiegt.«
»Kann sein«, erwiderte Ellison. »Aber sie hat sich alles Mögliche zurechtgesponnen. Sie wollte fort von zu Hause, weg von ihrem Stiefvater, den sie hasste. Ihr schwebte vor, dass wir nach London gehen und ein neues Leben beginnen würden. Ich sollte mir dort eine Stelle als Lehrer besorgen – als ob das alles so einfach wäre. Abgesehen davon möchte ich nicht von hier weg. Da ist meine Band, die hier langsam bekannt wird und in die ich eine Menge harte Arbeit gesteckt habe. Und – ich sage es nicht gern – die Sache mit Sophie hatte sich irgendwie totgelaufen. Eigentlich war es schon aus mit uns, auch wenn sie das nicht einsehen wollte.«
Brady stellte sich Sophies Verzweiflung vor. Ellison war ihre ganze Hoffnung auf ein anderes Leben gewesen. Kein Wunder, dass das Mädchen sich an ihn geklammert hatte.
»Und dann?«
»Dann hat sie sich ein Taxi bestellt und ist wutentbrannt abgerauscht. Das war kurz nach elf an dem Abend. Gegen Mitternacht habe ich sie noch einmal angerufen, nur um sie zu besänftigen. Wo sie da war, weiß ich nicht, aber im Hintergrund war es laut. Ich dachte, sie wäre in einen anderen Pub gegangen. Sie hat darauf bestanden, dass wir noch einmal miteinander reden, und wollte, dass ich zu unserem Treffpunkt komme, da hinter dem Zaun auf dem alten Bauernhof. Sie hat mir wieder gedroht, deshalb war ich einverstanden.«
Ellison trank einen Schluck Wasser.
»Zuerst hatten wir Sex. Danach habe ich versucht, ihr klarzumachen, dass es besser wäre, wir würden uns trennen.«
»Wo war das?«, erkundigte er sich.
»Der Sex?«, fragte Ellison und zuckte mit den Schultern. »Irgendwo in dem alten Gemäuer. Da, wo uns keiner sehen konnte.«
»Sind Sie sicher, dass in der Nacht sonst niemand auf dem Bauernhof war?«
Ellison schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich jemanden gesehen hätte. Es war dunkel, und ich habe nicht darauf geachtet. Zu der Zeit erwartet man auch nicht, jemanden zu sehen«, antwortete er.
»Und nachher?«
»Tja, wie schon gesagt. Nachher wollte ich ihr beibringen, dass es mit uns nicht mehr so läuft. Da ist sie vollkommen außer sich geraten und hat angefangen zu kreischen, dass sie das mit uns jedem erzählt, falls ich nicht mit ihr zusammenbleibe. Ich habe
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