Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
denken. »Wann kann man von einem Verdacht sprechen?«, hatte einer ihrer Ausbilder wiederholte Male gefragt.
Ein Verdacht liegt vor, wenn auf Grund von Wahrnehmungen konkrete Anzeichen festgestellt werden, die nach kriminalistischer und kriminologischer Erfahrung strafbares Handeln als möglich erscheinen lassen. Die Intensität des Verdachts ist je nach Art der Wahrnehmung verschieden. Im Allgemeinen spricht man von einem leisen, vagen oder schweren Verdacht.
Pia stellte verblüfft fest, dass sie die Antwort immer noch runterbeten konnte.
Ein leiser Verdacht also? Die nüchternen Worte ließen siesich ein bisschen besser fühlen. Selbst die bloße Vermutung, dass Rickleff Degners und Karlheinz Wörnsens Tod mit den anderen beiden Morden in Zusammenhang standen, war eine Überprüfung wert.
Nachdem sie Heidmüller auf dem Parkdeck des Polizeihochhauses abgesetzt hatte, machte sie sich auf den Weg zu der Adresse, die Frau Wiedehopf ihr beim Abschied auf einem Zettel notiert in die Hand gedrückt hatte. Sebastian Noske wohnte in dem Lübecker Stadtteil Marli, mit Blick auf die Justizvollzugsanstalt.
13. KAPITEL
D ie Haustür stand weit offen und bot einen Blick auf zwei Kinderwagen im Hausflur und einen Pappkarton, in den die Mieter unerwünschte Werbezettel zu entsorgen schienen.
Sebastian Noske wohnte ganz oben. Im Vorübergehen las Pia die Namen der anderen Hausbewohner und betrachtete die unterschiedlichen Fußmatten vor den immer gleichen, hellgrünen Wohnungstüren. Nach dem Aufdruck »Moin, moin«, einer schlafenden Katze, turtelnden Tauben und schwarzen Fußabdrücken lag vor Herrn Noskes Tür ein schlicht gestreiftes Modell.
Pia Korittki klingelte und lauschte auf die Geräusche um sich herum. In der Wohnung gegenüber schrie ein Kind, weiter unten dröhnte Schlagermusik. In Sebastian Noskes Wohnung war es ruhig.
Als sie schon auf dem Absatz kehrtgemacht hatte, öffnete sich die Tür. Pias erster Blick erfasste einen Mann in Jeansund Hemd, dessen Ärmel bis über die Ellenbogen hochgekrempelt waren. In seinen Hosenbund hatte er ein Küchenhandtuch wie eine Schürze gesteckt. Auf den zweiten Blick sah sie, dass er barfuß war.
»Oh!«, meinte er nur, als er Pia erblickte.
»Ich dachte schon, es wäre niemand zu Hause«, sagte Pia, die mit ihren Gedanken schon bei ihrem weiteren Vorgehen gewesen war.
»Ich koche. Der Dunstabzug ist immer so laut.«
Sebastian Noske war mittelgroß und schlank, sein blondes Haar lichtete sich über der Stirn bereits. Das Gesicht und die Unterarme waren gebräunt, er schien viel Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Seine Gesichtszüge wirkten offen, fast ein bisschen naiv. Er lächelte Pia unsicher an und schüttelte verwirrt den Kopf, als er hörte, dass sie Kriminalkommissarin war.
»Es gibt Tage, da scheint alles möglich zu sein«, meinte er und ließ sie bereitwillig eintreten. In der Wohnung roch es nach gebratenem Fleisch und Zwiebeln. Sebastian Noske führte Pia in die Küche und wies mit der Hand auf einen Tisch und zwei Stühle, die vor dem Fenster standen. Die Mittagssonne schien warm und einladend auf die Töpfe mit Küchenkräutern auf dem Fensterbrett.
»Kümmern Sie sich ruhig erst um das Essen«, sagte Pia, »ich war eben schon einmal Schuld, dass etwas angebrannt ist.«
»Wenn Sie zur Mittagszeit kommen …«, sagte Sebastian Noske vorwurfsvoll und nahm die Pfanne vom Kochfeld. Er füllte die gebratenen Fleischstreifen in eine bereitstehende Auflaufform, gab noch Käse darüber und schob sie in den Backofen.
»So«, stellte er befriedigt fest, »nun bin ich ganz Ohr …«
»Ich muss Ihnen routinemäßig ein paar Fragen zum Tod Ihres verstorbenen Onkels, Herrn Karlheinz Wörnsen, stellen«, sagte Pia, die sich vorher eine halbwegs plausible Begründung für ihr Erscheinen zurechtgelegt hatte.
»Ah ja?«
»Wir sind zurzeit angewiesen, stichprobenartig Todesfälle zu überprüfen, die sich in einem bestimmten Zeitraum ereignet haben.« Was sie da von sich gab, klang in ihren eigenen Ohren unglaubwürdig, aber Sebastian Noske nickte ernsthaft. Er schien es nicht im Mindesten merkwürdig zu finden.
»Was wollen Sie denn wissen?«
Das war eigentlich die entscheidende Frage, vermerkte Pia im Kopf.
»Der Hausarzt Ihres Onkels hat den Totenschein ausgestellt. Kam Ihnen am Tod Ihres Onkels irgendetwas nicht stimmig vor? Waren Sie von seinem Ableben überrascht?«
»Nein, leider nicht. Er hatte es schon lange mit dem Herzen.
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